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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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den wir angehalten hatten. »Aber Ihr solltet dort nicht hineingehen. Das Haus ist voller Blattern.«
    »Soso, mein liebes kleines Ding, deine Mutter hat dich zu einem Haus geschickt, das von Blattern verseucht ist?« Der Kavalier sah mich fragend an.
    »Warum nicht? Ich werde oft in solche Häuser geschickt, um Mutters gute Taten zu besorgen. Und ich bin kein kleines Ding. Mein Name ist Geneviève Pasquier, und ich bin im Winter fünfzehn geworden.«
    »Mademoiselle Pasquier, wenn ich mir eine vielleicht etwas dreiste Bemerkung erlauben darf, Eure Mutter scheint mir keineswegs mütterlich besorgt zu sein.«
    »Aber sehr vernünftig. Blattern können ein unansehnliches Mädchen wie mich kaum noch mehr verunstalten. Außerdem bin ich zu dem Schluß gelangt, daß ich sie nicht bekommen kann. Ich bin auf dem Lande groß geworden, und das härtet ab.«
    »Die Haut einer Melkerin, wie? Ich an Eurer Stelle würde mich nicht darauf verlassen. Ihr müßt Eure Haut schützen, wenn Ihr später einen Ehemann ergattern wollt. Ich rate Euch, der Wohltätigkeit ist Genüge getan, wenn ich den Klopfer zweimal bediene und Ihr den Korb auf der Türschwelle zurücklaßt.«
    Nachdem ich der Wohltätigkeit hinreichend gedient hatte, wandte ich mich ihm zu und sagte grimmig: »Nun, Monsieur Lamotte, sagt mir, weshalb Ihr mich verfolgt.« Er machte einen Kratzfuß, mitten im Schlamm der Gasse, und schwenkte seinen Hut mit einer großen Geste, die des Palastes von St. Germain würdig gewesen wäre.
    »Mademoiselle Pasquier, ich, André Lamotte, von poetischem Gemüt und sanften Manieren, bin Euch zu Diensten. Ich verfolge Euch nicht, sondern begleite Euch. Und dies tue ich, um mich bei der Schwester des göttlichen Engels vom oberen Fenster einzuschmeicheln.«
    »Das habe ich mir gedacht«, fauchte ich und hinkte ihm voraus, ohne zurückzublicken. Er überholte mich geschwind, und bevor ich die Ecke erreichte, verstellte er mir den Weg, verbeugte sich abermals und schwenkte seinen Hut. Die Leute gafften. Ich war gedemütigt.
    »Mademoiselle, ich werde Euch auf ewig den Weg verstellen, wenn Ihr mir nicht Eure Gunst gewährt.« Eine mit gerupften Hühnern und Gänsen beladene Frau kam aus einem Geschäft. Sie lachte.
    »Unsinn«, schnaubte ich. Ich starrte sie beide an und floh in die entgegengesetzte Richtung. Er folgte mir, seinen Hut ans Herz drückend, mit großen Sprüngen, um mich an der nächsten Ecke zu stellen.
    »Haltet ein!« schrie ich. Er setzte seinen Hut wieder auf. Eine schnatternde Schar kleiner Buben hielt im Ballspiel inne, um zuzusehen. Er machte ein entsetztes Gesicht und hob beide Hände wie Klauen.
    »Nun denn, Ihr zwingt mich, Gewalt anzuwenden. Ich muß bekennen, ich bin in Wirklichkeit ein Menschenfresser und werde Euch in meine Höhle tragen und fressen, wenn Ihr nicht tut, was ich will.«
    »Wen kümmert's?« sagte ich und versuchte, mich durch die zusammenlaufende Menge an ihm vorbeizuschieben.
    »Wen's kümmert? Es bräche mir das Herz, wenn Ihr gefressen würdet. Sagt ja, oder ich werde vor Kummer auf der Straße ohnmächtig.«
    »Wenn Ihr das tut, stinken Eure Kleider auf ewig nach Kot.«
    »Meine schönen Kleider?« Er griff in gespieltem Schrecken nach seinem Wams. »Dann sterbe ich, Mademoiselle, und es ist allein Eure Schuld.«
    »Tu es, tu es!« rief eine Frauenstimme.
    »Ja, tu es! Er ist sehr stattlich!« rief eine andere. Alsbald vervielfachte sich der Ruf. »Tu es, du hartherzige Maid! Ja! Also, ich würde es tun!«
    »Wenn Ihr auf der Straße sterbt, stinkt Euer Leichnam, und Eure Familie wird gedemütigt«, erklärte ich und versuchte, nicht auf die Menge zu achten.
    »Ach, aber ich habe keine Familie – nur meine arme alte Mutter.« Er tat, als wische er eine Träne fort. »Und meinen armen alten Vater«, und er beugte sich vor, als stütze er sich auf einen imaginären Stock. »Ja, ja«, schrie die Menge, von der Pantomime entzückt. » – und meine armen Brüder –«
    »Hört auf, mich zu verspotten, Monsieur«, rief ich und stampfte mit dem Fuß, da ich spürte, wie mein Gesicht sich erhitzte.
    » – und meine armen Schwestern, und meine armen Tanten und Onkel, und meine armen Cousins und Cousinen –«
    »Haltet ein. Bringt mich nach Hause.« Ich brach in Tränen der Wut aus.
    »Ja, ja, bringt sie nach Hause!« jubelte die Menge.
    »Nun gut, wenn Ihr darauf besteht«, sagte er und nahm mit einer umsichtigen Geste meinen Arm, als sei ich eine elegante Dame und nicht ein mißgestaltetes Ding.

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