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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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besteht.«
    »Sie tut alles, Großmutter, sie hat sich vollkommen geändert.«
    »Alles?« Die alte Dame setzte plötzlich eine verschlagene Miene auf. »Sage mir, wäscht sie seine Hemden mit eigener Hand?«
    »Aber ja, natürlich, Großmutter – und auch seine Bettlaken und seine Verbände.«
    »Verbände? Niemand hat mir gesagt, daß er verbunden werden muß; sie haben gesagt, es ginge ihm besser.«
    »O nein. Seine Wunden würden Euch das Herz brechen, Großmutter.« Großmutters weißes, runzliges Gesicht wurde noch weißer, dann blitzten ihre schwarzen Äuglein unter ihrer Haube. Mühsam setzte sie sich im Bett auf.
    »Hole mir meinen Stock, Geneviève, und mein bestes schwarzes Kleid, dort im Schrank. Dann hilf mir, mich anzukleiden. Ich stehe auf.« Ich hätte nicht erstaunter sein können, wenn sie verkündet hätte, daß das Wasser der Seine sich in Wein verwandelt hatte. Ich brachte ihr ihren Stock und zog sie hoch, bis sie auf der Bettkante saß. Sie stöhnte, als sie sich erhob, dann verkniff sie den Mund. Großmutter kleidete sich nach der alten Mode Ludwigs XIII. ohne Korsett, in schwere schwarze Witwenkleider, alle mit schwarzem Garn und Jettperlen bestickt. Ihre Füße waren winzig – das letzte Überbleibsel ihrer einstmals berühmten Schönheit, und sie lächelte, als ich die schwarzen Pantöffelchen über ihre schwarzen Wollstrümpfe streifte. Als sie angekleidet war, wankte sie, schwer auf meinen Arm gestützt, zu ihrem alten Lehnstuhl und setzte sich keuchend nieder.
    »Und nun«, sagte sie, »hole mir Feder und Tinte. Ich muß etwas schreiben. Du mußt eine Mietkutsche besorgen, ohne es einer Menschenseele zu sagen. Denke daran, zu niemandem ein Wort, und kehre so geschwind wie möglich zurück.« Ich rückte ihr kleines Schreibpult vor den Lehnstuhl und legte Feder, Tinte, Papier und Sand vor sie hin.
    Als ich die Türe von Großmutters Kammer öffnete, glaubte ich das Rascheln von Kleidern und flinke, leise Schritte zu hören, und ich fuhr erschrocken zusammen. Der Gedanke an Großmutters seltsame Bitte, dazu das ewige Warten und die Krankheit im Hause zerrten an meinen Nerven. Großmutter dünkte mich so fremd, wie sie so in ihrem Stuhl lehnte, schrumpelig und gebrechlich, aber mit einem eigentümlichen Leuchten in den Augen, indes sie eifrig schrieb und ihre Feder flink über das Papier kratzte. Hörte ich mein Herz klopfen, als ich durch die Empfangsräume stürmte, oder waren es Onkels schwere Schritte, die die Stiege erklommen? Ich rief Jacques, der auf einer Leiter die Kerzen im Lüster erneuerte, und hieß ihn zum Droschkenstand gehen, da ich für Mutter etwas zu besorgen hätte. Etwas, etwas dünkte mich verkehrt, ich mußte zu Großmutter. Ich stürmte die Stiege hinauf, mein Herz war von schlimmen Vorahnungen erfüllt. Ich stieß die Türe zu Großmutters Kammer auf.
    »Geschwind herbei, geschwind!« schrie ich. »Großmutter hat einen Krampf!« Ihr Kopf war zurückgeworfen, ihr Körper verzerrt. Das kleine Pult war umgekippt, und das Tintenfaß kullerte unverstöpselt über den Fußboden und verspritzte seinen Inhalt in einem schwarzen Halbkreis auf dem mit Sand bestreuten Teppich. Der Papagei flog kreischend auf die Vorhangstange, Dienstboten polterten herein. Mutter kam, ein Schnupftuch in der Hand und entsetzte Schreie ausstoßend, Marie-Angélique mit bleichem Gesicht.
    »Was geht hier vor?« rief Onkel gebieterisch, als er sich in den niedrigen Türrahmen zwängte. »Ich verlange auf der Stelle eine Erklärung, Geneviève!«
    »Großmutter, o Großmutter!« schrie ich und nahm Wasser aus dem Krug auf der Nachtkonsole, um ihr das sich rasch schwärzende Gesicht zu netzen.
    »Wer hat ihr aufgeholfen? Wer hat sie angekleidet? Wer immer es war, er hat sie getötet. Die Anstrengung hat ihr das Herz gebrochen.« Mutters anklagende Stimme übertönte das Geplapper, und sie starrte mich an. Großmutters Fäuste waren geballt, ihr Rücken war in einer Krümmung erstarrt. Onkel befahl dem Gesinde, sie aufs Bett zu heben. Ich warf mich auf Großmutters steifen Leib. Der Vogel flog auf den Baldachin des Bettes und kreischte: »Trinkt, trinkt! Ach! Feuer und Schwefel!«
    »Um Gottes willen, erwürgt das abscheuliche Ding!« rief Mutter, und das Gesinde vermehrte das Tohuwabohu, indem sie ihm im Zimmer nachjagten. Er schlug über ihnen wild mit den Flügeln, und Marie-Angélique jammerte händeringend: »Nicht! Der liebe, süße Vogel! Er weiß es nicht besser!«
    »Großmutter,

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