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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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in Szene zu setzen.
    »Dies ist das Schreiben eines eitlen alten Mannes, der sich für viel erlauchter hält, als er ist«, verkündete Primi.
    »Seht Euch die Unterschrift an«, drängte der König. Ein entsetztes Raunen ging durch den Raum. Es war des Königs eigene Unterschrift.
    »Wir wollen sehen, was Madame de Morville dazu zu sagen hat«, ließ sich der König vernehmen. O Tücke, dachte ich. Wenn ich hier fortgehe, habe ich mir ohne Zweifel mächtige Feinde gemacht. Aber ich drückte den Brief an das Glas und wartete auf das Bild.
    »Ein älterer Herr – in schlichtem Schwarz, kein Schnurrbart. Er trägt eine immense, aber altmodische Perücke und hat schlecht sitzende falsche Zähne –«
    »Des Königs Sekretär!« rief ein Höfling. »Ja, wahrhaftig, das ist er, wie er leibt und lebt!« rief ein anderer. »Er brüstet sich damit, des Königs Unterschrift täuschend nachzuahmen«, verkündete ein Dritter. Ich sah Primi an. Er wirkte unendlich erleichtert. Des Königs dunkle Augen aber waren auf mich gerichtet.
    Sein Gesicht war reglos vor Argwohn und stummem Entsetzen. Das ist schlecht, dachte ich. Er denkt entweder, daß seine schlimmsten Vermutungen wahr sind oder daß ich, eine Außenstehende, über ein Netz von Spitzeln verfüge, die in seine engsten Kreise eingedrungen sind.
    »Nun, Monsieur Primi, habe ich Euch übertroffen?«
    »Kaum«, erklärte Visconti theatralisch.
    »Ah, aber sie hat Euch vor dem Vergehen der Majestätsbeleidigung bewahrt, nicht wahr?« sagte der König, von seinem plötzlichen Argwohn abgelenkt und über Primis Unbehagen amüsiert. »Sagt mir, Madame de Morville, macht Ihr auch Voraussagen ernsterer Art?«
    »Zuweilen, aber ich ermahne die Klienten stets zur Vorsicht. Ich glaube nicht, daß die Zukunft unvermeidlich ist, sondern nur, daß etwas geschehen könnte, wenn die Umstände bleiben, wie sie sind. Und je weiter etwas von der Gegenwart entfernt ist, um so mehr ist es nur eine Wahrscheinlichkeit.«
    »Somit wären die Karten höchst genau, da sie der Zukunft am nächsten sind?«
    »So ist es, Majestät.« Er zog einen Brief aus seiner Tasche und legte ihn vor mich auf den Tisch.
    »Sagt mir, was dem Schreiber dieses Briefes zustoßen wird.«
    »Majestät, ich kann Euch nur das Bild beschreiben – die gesamte Zukunft des Schreibers ist auch mir verborgen.«
    »Beginnt«, sagte Seine Majestät mit einer ungeduldigen Gebärde seiner beringten Hand. Das Bild stieg ungewöhnlich deutlich empor.
    »Der Schreiber dieses Briefes ist ein kleinwüchsiger Mann, etwas buckelig, mit einer schlechtsitzenden Perücke. Seine Kleider sehen kostspielig aus, sind aber von provinziellem Zuschnitt. Er hat eine überaus große Adlernase, einen kleinen verkniffenen, eingefallenen Mund und ein fliehendes Kinn.« Der König lächelte über meine Beschreibung. Die anderen mußten den Beschriebenen ebenfalls erkannt haben, denn auch sie lächelten. »Er steht offenbar in einer Privatkapelle – es scheint sich um seine Vermählung zu handeln.«
    »Mit wem?« flüsterte Seine Majestät.
    »Auch die Frau ist mir unbekannt. Es ist offensichtlich eine sehr wohlhabende Dame, jung, hübsch anzuschauen, dunkle Haare, auffallend groß. Der Mann reicht ihr kaum bis an die Schultern. Sie überragt auch ihre Kammerfrauen und etliche andere anwesende Herren.« Des Königs Miene war erbost.
    »Eure Unverschämtheit, Madame de Morville, übertrifft selbst die von Monsieur Primi.«
    »Ich bedaure zutiefst, wenn ich Eure Majestät gekränkt habe, aber ich habe keine Ahnung, wer die Personen in dem Bilde sind.«
    »Gar keine Ahnung?« Der König richtete seine Augen starr auf mich – er war zweifellos daran gewöhnt, die Leute mit diesem starren Blick derartig einzuschüchtern, daß sie die Wahrheit sagten.
    »Nicht die geringste«, erwiderte ich.
    »Dann, Madame de Morville, muß ich wohl abseits von den anderen mit Euch sprechen – Primi, unterlaßt es, mir zu folgen, ich möchte mit Madame de Morville alleine sprechen.« Er führte mich hinter einen großen, verzierten Wandschirm, welcher den Raum vor Luftzug schützte, wenn die Flügeltüren geöffnet wurden. »Mein Sekretär sagt mir, daß das Marquisat Morville seit zweihundert Jahren erloschen ist.« Er wollte meine Ehrlichkeit auf die Probe stellen.
    »Das trifft zu, Majestät.«
    »Eure Ahnentafel, ist sie echt?«
    »Sie wurde von Monsieur Bouchet erstellt, dem Ahnenforscher. Sie ist so echt wie viele andere am Hofe.«
    »Danach habe ich nicht gefragt,

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