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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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auch dies ist das Versprechen eines Königs.«
    Der Abend war vorüber. Als ich aus der Halle geleitet wurde, hielt Primi mich auf.
    »Oh, geht mir aus dem Wege, Monsieur Visconti. Ihr habt genug angerichtet«, fauchte ich.
    »Ha – er wollte Euch Eure Wahrsagerei abkaufen, dort hinter dem Wandschirm, nicht wahr?« Ich versuchte, Primi beiseite zu schieben, er aber wich mir aus und stellte sich mir abermals in den Weg.
    »Ich weiß nicht, was Ihr meint«, erwiderte ich.
    »Er hat mir achttausend Livres angeboten, wenn ich ihm sage, wie meine Handschriftendeutung zustande kommt.«
    »Achttausend? Mir hat er nur zweitausend geboten!« Ich war empört.
    »Weil Ihr eine Frau seid, Marquise.«
    »Ihr habt gut lachen, elender Italiener; Ihr habt mir das Geschäft verdorben.«
    »Aber das ist ganz und gar ungerecht. Immerhin ist es eine Ehre, wenn einem der König persönlich das Geschäft untersagt.«
    »Ich möchte Euch nicht mehr sehen, Primi.« Ich schritt an ihm vorbei zu der Sänfte, die im äußeren Korridor auf mich wartete. Schöne Ehre, dachte ich. Als die Träger mich zu meiner wartenden Kutsche brachten, schlug mir der kalte herbstliche Abendwind ins Gesicht. Ich fuhr zu meiner Herberge zurück. Zum zweiten Mal in meinem Leben bin ich durch Ludwig XIV. ruiniert worden, dachte ich. Wie soll ich das der Schattenkönigin erklären?

    Ein neuer Gedanke: Man muß sich vor der Großzügigkeit von Königen beinahe so in acht nehmen wie vor ihrem Zorn.

    Als ich zu meinem Hause kam, war ich vor Schlaflosigkeit beinahe so bleich, als hätte ich eine doppelte Schicht der weißen Schminke aufgelegt. Und hier erwartete mich eine noch größere Überraschung. Das Polizeisiegel war an meiner Haustüre angebracht worden. Während ich es ungläubig betrachtete, trat Hauptmann Desgrez mit drei hünenhaften Wachtmeistern aus einem geschützten Torweg.
    »Madame de Morville, würdet Ihr bitte mit uns kommen«, erklärte er. Und ehe ich wußte, wie mir geschah, wurde ich für die Fahrt zum Châtelet mitsamt Beutel und allen Utensilien in eine wartende Kutsche verfrachtet.

KAPITEL 30
    D esgrez musterte mich schweigend. Ich saß ihm gegenüber zwischen den beiden Polizisten, mit dem Rücken zur Fahrtrichtung, so daß ich, als wir uns dem Châtelet näherten, die boucherie nicht sehen konnte. Aber riechen konnte ich sie, die Abfallberge, die von Tierblut und Schmutz überfließenden Gassen. Die Schlachthäuser von Paris stellten keine gute Nachbarschaft dar – außer für ein Gefängnis. O Gott, was gab es nicht alles, weswegen ich eingesperrt werden konnte! Wenn ich es nicht getan hatte, dann hatte ich es gesehen oder davon gehört. Ich wußte genügend, um lebenslänglich eingekerkert zu werden. Und man hatte das Haus versiegelt. Ich bezweifelte, daß man meine Schatulle und das Versteck mit den verbotenen Büchern hinter der Wandtäfelung finden würde. Doch das letzte meiner in Geheimschrift abgefaßten »Rechnungsbücher« lag noch im Schubfach meiner Nachtkonsole. Ich zerbrach mir den Kopf, um mich zu besinnen, was darin stand. War ich vorsichtig genug gewesen? Und dann dieses Gespräch mit dem König. Angenommen, er hatte beschlossen, meiner politischen Wahrsagerei mit einem lettre de cachet ein Ende zu machen? In diesem Falle würde ich nicht einmal erfahren, weswegen ich festgehalten wurde. Ich werde schweigen, bis sie die Anklage verlesen, dachte ich.
    Ein verdeckter Karren – der Leichenwagen vom Châtelet – kam uns entgegen. Der Gestank war so bestialisch, daß der Kutscher und die Begleiter sich Tücher vor die Gesichter gebunden hatten. Die nicht abgeholten Toten wurden zum Kloster Les Filles Hospitalières de Sainte Catherine befördert. Die Nonnen betrachteten es als ihre heilige Pflicht, die verwesenden Leichname für die Bestattung auf dem Cimetière des Innocents herzurichten. Ein Bild ging mir durch den Kopf – d'Urbec, der meinem Sarge folgte –, und meine Augen brannten. Würde er, wenn er zurückkehrte, jemals erfahren, was aus mir geworden war? Desgrez hatte sein Schnupftuch hervorgezogen und hielt es sich vor das Gesicht. Sogar der Mann, der eine ganze Nacht teilnahmslos bei einem brennenden Leichnam sitzen konnte, mußte ob des Gestanks der verlorenen Seelen von Paris würgen. Mein Verstand schien zu flackern wie eine Kerze im Luftzug.
    Ich hatte erwartet, daß die Kutsche in die Unterführung einbiegen und uns am Eingang des Gefängnisses absetzen würde. Aber nein, wir fuhren weiter, vorbei an den

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