Die Hexe von Paris
Vorsichtsmaßnahmen, Marquise. Zumal bei der Handhabung eines Geschenkes eines Mannes von so hohem Stande – Brissac, sagtet Ihr?«
»Habt Ihr die kleine Stahlspitze unter dem Verschluß gesehen?
Tretet zurück.« Als ich mit dem Rührstab den Deckel hob, war ein Klicken zu vernehmen, und schwirrend flog ein kleiner Pfeil, beinahe so fein wie eine Nadel, in die Steine des Kamins. Ich hielt Desgrez zurück, als er nach der Schatulle greifen wollte.
»Faßt sie nicht ohne Handschuhe an. Ihr wißt nicht, ob die Schatulle nicht ebenso vergiftet ist wie der Pfeil.« Er zog ein Paar lederne Handschuhe aus seiner Tasche, streifte sie über, dann nahm er Pfeil und Schatulle an sich.
»Raffiniert«, sagte er. »Das Prinzip einer Armbrust, verkleinert. Sagt mir, Marquise, seid Ihr zuvor schon mit ähnlichen Gaben bedacht worden? Was hat Euren Argwohn geweckt?«
»Da ich die Quelle kannte, mußte es ein Mechanismus oder eine lebende Schlange sein. Ich bin froh, daß es keine Schlange war. Ich ekle mich vor Schlangen.«
»Gestattet Ihr, daß ich die Schatulle mitnehme?« fragte er beiläufig.
»Sie schießt gewiß nicht über eine genügend große Entfernung, um an der Front von Nutzen zu sein, Hauptmann Landart.«
»Madame de Morville, laßt uns mit der Verstellung aufhören. Ihr kennt mich so gut, wie ich Euch kenne. Im Namen des Königs ersuche ich Euch, mir die Schatulle zu überlassen. Ich wünsche außerdem, daß Ihr mir Eure Verbindung zu der verstorbenen Mätresse des Duc de Vivonne kundtut und mir sagt, warum Ihr sie in Verkleidung am Sterbebett aufgesucht habt.«
»Ach, es muß wohl sein«, sagte ich seufzend und ließ mich auf meinem Lehnstuhl zusammensinken, als hätte man mich verwundet. Doch mein Verstand stürmte drauflos wie ein Rennpferd. Als erstes mußte ich Zeit gewinnen, um meine Taktik zu planen: »Mustafa, hole Hauptmann Desgrez etwas, um die Schatulle einzuwickeln. Ich möchte nicht schuld sein, wenn er Ausschlag bekommt.« Als Mustafa gegangen war, sagte ich zu Desgrez: »Mademoiselle Pasquier war eine gute Klientin von mir – und eine Freundin. Wahrsagerinnen kennen viele Geheimnisse, Hauptmann Desgrez, und ich kannte das ihre. Ich riet ihr, nicht zu Longueval zu gehen, doch Monsieur le Duc kam ihre Schwangerschaft ungelegen, und so wandte er sich an ihn. Als ich nichts mehr von ihr hörte, ging ich zum Châtelet und in die Spitäler –« Bei dem Gedanken an Marie-Angélique traten mir die Tränen in die Augen.
»Und die Verkleidung?« Desgrez' Stimme klang beinahe wohlwollend. Sei auf der Hut, warnte mein Verstand, er will deine Schwäche ausnutzen und dich verleiten, zu viel zu sagen.
»Hauptmann Desgrez, ich fürchtete verdächtigt zu werden, die Abtreibung vorgenommen zu haben. Ein derartiger Verdacht fällt stets zuerst auf Frauen, und vornehmlich auf Frauen wie mich – eine alleinstehende Witwe –« Ich seufzte theatralisch. Er wirkte nicht überzeugt. Ich fuhr fort: »Verfolgt mich eine Woche lang, Monsieur Desgrez, und Ihr werdet sehen, meine Klientel ist so erlaucht, daß ich es nicht nötig habe, mich mit zwielichtigen Geschäften zu befassen. Meine Reputation ist mir teuer, und ich setze alles daran, sie zu bewahren.« Ja, beobachte mich, Polizeischnüffler, und folge mir nach St. Germain, wo ich vor dem König erscheinen werde, und du würdest nicht einmal in deinem Sonntagsstaat ins Vorzimmer eingelassen. Ich sah ihm ins Gesicht. Ich nehme die Herausforderung an, sagten seine Augen. Dann erhob er sich, augenscheinlich, um zu gehen. Er hielt kurz inne und sah mich an.
»Eine Frage noch, Madame de Morville. Wie alt seid Ihr wirklich?« Wenn ich jetzt lüge, wird er alles andere nicht glauben, dachte ich. Du mußt die Wahrheit sagen, auch wenn das neue Gefahren heraufbeschwört.
»Neunzehn, Hauptmann Desgrez.«
»Ihr seid ungeheuerlich, Marquise. Ihr habt halb Paris zum Narren gehalten.« Der Klang seiner Stimme gefiel mir nicht.
»Ich bitte Euch, verratet mich nicht – mein Gewerbe hängt von meinem hohen Alter ab, Ihr versteht.«
»Polizeiberichte werden nicht an Straßenecken feilgeboten, Madame. Die Leichtgläubigen werden sich weiterhin irreführen lassen.« Damit verabschiedete er sich. Ich war froh, daß es kein Gesetz gab, das die Wahrsagerei verbot. Sonst wäre er der erste, der mich in Gewahrsam nähme. Aber seine Neugierde war geweckt. Wenn es einem hartnäckigen Manne wie ihm nicht gelingt, eine Theorie zu beweisen, wird er so lange in den Berichten forschen,
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