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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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bis er eine andere aufstellt. Da er seine Theorie, daß ich eine Abtreiberin sei, nicht mehr aufrechterhalten konnte, würde er versuchen herauszufinden, wer ich wirklich war. Das war freilich ebenso fatal. Ein kalter Schauder durchfuhr mich. Ich wünschte, ich könnte mein eigenes Schicksal im Glase lesen.

    Große Ereignisse verlaufen oft anders als erwartet, und mein Auftritt vor dem König war hierfür ein anschauliches Beispiel. Ich hatte ihn natürlich oftmals von ferne gesehen; ein Mann von mittelgroßer Statur mit dunklen, ja spanischen Zügen, im mittleren Alter füllig geworden, die Haut stark von Pocken genarbt. Wohin er auch ging, stets war er von einer Schar von Höflingen umringt. Sie begafften ihn in der Kapelle, sie begafften ihn bei den Mahlzeiten, sie begafften ihn auf Spaziergängen. Ein Mann, der sagen konnte, »des Königs Auge ist auf mich gefallen«, sah seine Gläubiger geduldiger werden; einer, der sagen konnte, »der König hat sich zu mir über das Wetter ausgelassen«, sah sich in glänzendere Häuser eingeladen; und wer sagen konnte, »gestern beim petit coucher hat der König –«, sah für seine Kinder bessere Heiratsaussichten. Daher genügte der an mich ergangene Befehl, so nebensächlich er auch sein mochte, um die Schattenkönigin in Verzückung zu versetzen, um meine Preise zu erhöhen und um die eiserne Hand der Polizei einhalten zu lassen.
    Sobald ich in den hohen Salon mit den alten Tapisserien und schimmernden Lüstern trat, wußte ich, daß es Ungemach geben würde. Ich sah den König am anderen Ende des Raumes mit »Monsieur Primi« lachen. Ungefähr ein Dutzend Höflinge standen, ebenfalls lachend, dabei, die königliche Laune nachahmend. Ihre Damen kicherten hinter ihren Fächern. In der Mitte des Raumes stand ein eigenartiger Gegenstand, den ich sogleich erkannte: Maestro Petits magisches Klavichord von der Foire St. Germain. Es hatte dort einigen Aufruhr verursacht, ließ es doch ohne sichtbare Klöppel und ohne Berührung durch eine menschliche Hand, allein auf Befehl des Maestros, seine Melodien erklingen. Er verdiente seinen Unterhalt, indem er mit dem Instrument durch die Jahrmärkte des Königsreiches tingelte, und niemandem war es gelungen, den Mechanismus zu ergründen. Das heißt, bis jetzt. Ein rotgesichtiger Maestro verbeugte sich betreten vor dem König. An seiner Seite verneigte sich ein kleiner Knabe, der aus dem Klavichord herausgekrochen war. Der König trat an das Instrument, um das System der im Inneren angebrachten Klöppel zu erkunden, mittels deren der Knabe, des Maestros frühreifes Söhnchen, die Weisen gespielt hatte. Die Höflinge rangelten um die besten Plätze und bemerkten, dem Beispiel Seiner Majestät folgend: »Raffiniert!«
    »Oh, wie schamlos!«
    »So eine Unverschämtheit!« und dergleichen. Diesen Abend des Amüsements und der Demaskierung hatte zweifellos Primi vorbereitet. Ich hatte immer gemutmaßt, daß er in mir seine Rivalin sah; jetzt könnte er mir mit einem harmlosen Scherz auf einen Schlag das Geschäft verderben.
    Ich versank in einen tiefen Knicks, als Primi mich Seiner Majestät vorstellte, und als ich mich erhob, faßte mich der Sonnenkönig eindringlich ins Auge. Er war angetan mit einem justaucorps aus blauem, mit Gold und Diamanten besticktem Samt, einem dunkelblauen, goldverbrämten Hut mit roten Federn, rehbraunen samtenen Kniehosen und rotseidenen Strümpfen. Seine Schuhe hatten hohe rote Absätze und rote Seidenschleifen. Das Spitzengeriesel an Hals und Handgelenken ließ an einen Wasserfall denken.
    »Unser Primi sagt uns, Ihr seid mehr als ein Jahrhundert alt, Madame de Morville. Gewiß werdet Ihr im Dienste der Schönheit in unserem Königreiche Euer Geheimnis mit den unglücklichen Damen teilen, die nur ein Drittel Eures Alters zählen.«
    »Majestät, ich fühle mich geehrt durch das Kompliment, das Ihr dem Zustand meiner Erhaltung zollt, aber zu meinem Leidwesen ist die Rezeptur, welche die Verlängerung meines Lebens und meiner Jugend bewirkte, verlorengegangen.«
    »Das ist sehr bedauerlich, zumal wir sowohl von Monsieur de Nevers als auch von Milord Buckingham vernahmen, daß Ihr auch im Besitze des Geheimnisses der Wiedererlangung der Jungfräulichkeit seid. Dies allein sollte Euch einen Platz in der Geschichte der Weltwunder sichern.« Ich fühlte, wie ich unter der dicken Schicht weißer Schminke errötete. Es ließ sich nicht gut an.
    »In einem Königreich, in dem es um die Tugendhaftigkeit so gut

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