Die Hexe von Paris
die sich von ihr aus der Hand lesen ließen.«
»Wenn es nur so wäre«, sagte er bedrückt. »Aber, Marquise, für mich ist es schlimmer, als Ihr Euch vorzustellen vermögt. Die Frau, die ich liebe – o Marquise, Ihr solltet sie sehen! Sie ist eine Göttin!« Seine Stimmung wechselte unvermittelt. Er küßte beim Gedanken an diese Frau seine Finger und fuhr dann fort: »Wir lernten uns kennen, als sie mich kommen ließ, um ihr aus der Hand zu lesen. Ich liebte sie auf den ersten Blick! Diese Augen! Diese entzückende Taille! Ich mußte sie einfach erobern! Ich sagte ihr wahr. Ich prophezeite, daß sie sich bald leidenschaftlich in mich verlieben und meine Braut werden würde. Zu meinem Leidwesen war sie bereits vermählt. Und zu allem Unglück wurde ihr Gemahl krank und starb, und ich geriet in Verdacht –«
»Und da habt Ihr sie aufgegeben?«
»Sie aufgeben? Ihr seid von Sinnen! Natürlich nicht. Jeden Abend lieben wir uns leidenschaftlich. Ich bin durch Cupidos Ketten gefesselt – es ist mir bestimmt, aus Liebe zugrunde zu gehen.«
»Primi, Ihr seid wahnsinnig.«
»Natürlich. Was könnte man in dieser irren Welt anderes sein? Adieu, Marquise. Vielleicht begegnen wir uns erst in der nächsten Welt wieder –«
»Primi – wartet –«, rief ich in den Wind, als er die Treppe hinabstieg.
Er drehte sich um, und der Wind trug mir seine Worte zu: »Es ist vorbei; mit unserer Welt ist es zu Ende. Geht, tröstet die Comtesse, aber seht zu, daß Ihr Eure Vergütung sogleich erhaltet.« Der schlanke Italiener stieg in die wartende Kutsche. Als der Kutscher die Zügel ergriff und davonfuhr, sah ich Primi zusammengesunken auf dem Sitz, den Hut über die Augen gezogen.
Ich wartete lange in dem kalten, mit Marmor ausgelegten Vorzimmer der Gemächer der Comtesse. Die Glasscheiben in den hohen Fenstern klirrten, und ich spürte den Luftzug unter den Türen mit den vergoldeten Paneelen. Was mochte sie wollen, die Comtesse? Sie ließ sich von mehreren Leuten wahrsagen – etwas mußte am Hofe vorgefallen sein. Sie hatte etwas vernommen, das sie bewog, sich wieder dem Okkultismus zuzuwenden. Etwas, das sie sich wünschte, oder etwas, vor dem sie sich fürchtete?
Das Antlitz der Comtesse war abgespannt; sie hatte versucht, die Falten, die ihre verlebten Wangen durchzogen, unter dicker weißer Schminke zu verstecken. Ihre Augen in dem schmalen Gesicht huschten hin und her, ihr Lächeln war so verzerrt, daß es wie ein lautloser Schrei anmutete. Diesmal ist es kein Wunsch, sagte ich mir. Dies ist Angst.
»Madame de – wie immer Ihr Euch jetzt nennt, ich weiß, Ihr lest wahr. Visconti sah eine Unterbrechung meiner Schicksalslinie, er sah in den Karten Ungnade, einen Sturz. Ein Geheimnis aus meiner Vergangenheit wird ans Licht kommen.« Ah, das war es. Die Gerüchte, vor denen Visconti mich gewarnt hatte. Er hatte mir damit wohl einen Gefallen tun wollen, ein Akt der Wiedergutmachung des Schadens, den er mir zugefügt hatte. Die Comtesse war eine gute Klientin von La Voisin, aber nicht nur von ihr. Hatte sie das Gift, mit dem sie ihren Gemahl beseitigt hatte, von La Voisin oder von La Bosse bekommen? La Bosse redete nun seit zwei Monaten unter der Folter, und durch die geschwätzigen Amtleute war etwas aus La Reynies geheimen Verhören an den Hof gedrungen. Und wenn es nicht um ihren Gemahl ging, welche Personen waren sonst noch mit Hilfe der kleinen weißen Hand der Comtesse von dieser Erde geschieden? Vielleicht genug, um selbst eine Dame ihres Ranges zu verurteilen.
»Ihr wünscht Eure Zukunft zu erfahren«, sagte ich, indes ich mein Tuch ausrollte.
Sie beugte sich über das Glas, während ich rührte. Die Diamanten an ihrem Busen spiegelten sich im Wasser wie kleine Regenbögen.
»Madame, bitte – die Farben Eures Kleides, Eure Juwelen, sie stören das Bild.«
»Ich muß es wissen«, sagte sie und trat ein wenig zurück.
»Ich sehe dasselbe Bild, das ich vor Jahren für Euch sah: Eure Kutsche bei Nacht, Eure Lakaien in schlichtem Grau, Eure Pferde preschen in rasender Geschwindigkeit durch die Dunkelheit. Marquise d'Alluye ist bei Euch. Ihr sprecht nicht – Eure Gesichter sind angespannt.«
»Dann ist es kein heimliches Stelldichein – nein, es ist Flucht. Und denkt nur, jahrelang hielt ich diese Lesung für Euren einzigen Irrtum! Ach, wie bitter! Ihr habt alles vorausgesehen. Warum habt Ihr mich nicht gewarnt?«
»Wartet, Madame, ein anderes Bild steigt empor. Ihr seid – es muß im Ausland sein, die
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