Die Hexe von Paris
werde ein Wörtchen mit dir reden, wenn du die Türe nicht öffnest. Mustafa! Wo steckt er, wenn ich ihn brauche?« Als ich mich umwandte, sah ich, daß Sylvie zwei gesetzte Bürger hereingeführt hatte, Advokaten, ihren langen Roben und Vollperücken nach zu urteilen. Einer stand mit dem Rücken zu mir und betrachtete meine Möbel. Der andere fuhr mit der Hand über den hellen Fleck, wo das Bild gehangen hatte, dann prüfte er, ob seine Fingerspitzen staubig waren.
»An dieser Stelle scheint ein Bild entfernt worden zu sein. Man hat Euch offenbar gerade noch rechtzeitig benachrichtigt, Maître Pasquier.« Als ich den Namen hörte, gefror mir das Blut in den Adern. Der Angesprochene drehte sich zu mir um. In nur fünf Jahren war er stark gealtert. Sein Gesicht war dicker geworden, seine Augen waren stumpf vor Rechtschaffenheit, wie zwei Rüben, die im Winter zu lange in der Vorratskammer gelegen haben. Seine Haut ließ mich an die aufgeblähten rosa Würmer denken, die man nach einem heftigen Regen ertrunken auf der Erde findet. Seine Profession hatte ihn geprägt.
»Sieh mal einer an, Étienne, der Blutsauger. Was verschafft mir die Ehre dieses Besuches, Bruder? Sind die Gewinne aus dem Verkauf unserer Schwester verbraucht?« Ich weidete mich an seinem aufsteigenden Zorn.
»Zumindest leugnet sie nicht, wer sie ist«, sagte sein Begleiter, der ihn zurückzuhalten suchte.
»Du hattest stets eine boshafte Zunge, Schwester. Daran würde ich dich erkennen, auch wenn sonst nichts an dir wie früher wäre. Schweigen in einer einsamen Klosterzelle, das wird deiner Seele guttun. Eines Tages wirst du zu mir kommen und mir danken, daß ich dich aus einem so schandbaren Leben erlöst habe.«
»Danken? Wofür? Daß du dich in meine Geschäfte einmischst und ihr mein Haus in Augenschein nehmt wie zwei Pfandleiher?« Nun war es an Étienne, seinen Begleiter zurückzuhalten.
Hinter mir hörte ich Sylvie flüstern: »Mustafa, laufe zur Kunstgalerie auf dem Pont Notre-Dame und hole Monsieur d'Urbec. Sage ihm, es gibt argen Verdruß.«
»Laßt sie gewähren. Wir haben bewiesen, daß unser Informant recht hatte. Sie kann nirgends hin. Und ich werde alsbald imstande sein, diese – diese furchtbare Schande für die Ehre der Familie fortzuschaffen.«
Ich trat einen Schritt vor und starrte ihm in sein korruptes Gesicht. Er wich zurück. »Wer hat dich informiert, daß ich hier bin?« fragte ich mit kalter Stimme.
»Ich habe Mittel und Wege. Spitzel bei der Polizei, Informanten, denen die Methoden sogenannter Reformer wie La Reynie nicht behagen.« Ah, jetzt verstand ich alles. Korrupte Informanten, die über einen Reformer verstimmt waren, durch dessen Neuerungen sämtliche traditionellen Quellen der Bestechung zu versiegen drohten. Sie würden alles tun, um La Reynie zu behindern. Schön, sie würden eine Menge Hexen finden, die ihnen beipflichteten. »Und worüber haben dich diese Informanten informiert? Daß Mademoiselle Pasquier in der Rue Chariot wohnt, daß sie reich ist und daß du es deiner Ehre schuldig bist, sich ihres Besitzes zu bemächtigen?«
»Mir wurde zugetragen, daß meine Schwester, die von zu Hause fortgelaufen ist, dem Namen der Familie Schande bereitet, indem sie sich als Wahrsagerin betätigt und sich auf eine Affäre mit einem Spieler eingelassen hat, der sie in den Ruin treibt.«
»Und alles ausgibt, bevor du es in die Hände bekommen könntest, wie? Welch unziemliche Hast, Bruder.«
»Mit deinen Kränkungen gräbst du dir nur dein eigenes Grab, Schwester.« Er verschränkte die Arme und sah mich hochmütig an.
»Und meine Eheschließung hat wohl auch nichts zu bedeuten, vermute ich?«
Er fuhr zurück. Sylvie wirkte erschrocken. Ihre Augen nahmen einen abwesenden Ausdruck an.
»Eheschließung? Du lügst. Wer würde ein so schändliches Ungeheuer wie dich nehmen?« In meinem eleganten Kleid mit den kostspieligen Spitzen fühlte ich mich sicher genug, um ihn auszulachen.
»Alle möglichen Mitgiftjäger würden mich nehmen. Hat dir das dein Informant nicht erzählt? Er müßte dir eigentlich dein Bestechungsgeld zurückzahlen. Armer Bruder, du kamst am Ende der Schlange. Du bist zu spät gekommen. Mein Vermögen ist dir entschlüpft. Und nun beleidigst du eine verheiratete Frau in ihrem eigenen Hause.« Ich setzte mich schutzsuchend auf meinen karmesinroten Lehnstuhl hinter dem vergoldeten Pult, auf welchem meine Wasservase in ihrem Drachenständer ruhte.
»Du kleine Kanaille«, schrie er, sich dem
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