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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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hielt ich einen unförmigen Hut fest, der, mitsamt einem dicken Umschlagtuch, in das mein Gesicht eingemummelt war, genügte, um meine Anonymität zu wahren. Der Mann zwischen den Tragstangen der portechaise hatte die einzigen Schuhe der Familie an; seine Frau, die von hinten schob, die Röcke um die kräftigen Waden gerafft, hatte ihre Füße in Lumpen gewickelt. Bettler, die über die vereisten Kopfsteine taumelten, um ihre Hände auszustrecken, schreckte sie mit Salven bissiger Kränkungen ab, die stets mit »Warum versuchst du's nicht mal mit Arbeit, du Straßenlaus!« endeten. In den Straßen drängelten sich Frauen mit Körben und Diener in Livree; es galt Festessen vorzubereiten, Kerzen und Holz zu kaufen, Botschaften und Einladungen zu überbringen. Dann und wann drängte eine Kutsche alle an die Mauern, denn auf den schmalen Straßen war kein Platz, um gefahrlos zu spazieren. Sänften waren in dieser Jahreszeit beliebt, da die Träger sie die Treppen hinauf und in die Häuser tragen konnten, so daß Besucher ihre Satinpantoffeln nicht dem eisigen Schlamm aussetzen mußten.
    Als wir an St. Nicholas des Champs vorüberkamen, sah ich einen Mann in pelzverbrämtem Habit aus der Kirche treten. Er verfolgte eine Dame in scharlachrotem Umhang und weißem Pelzmuff. Eine Kutsche fuhr vor, und die Dame ließ sich, ohne einen Blick zurück, hineinhelfen. Als die Kutsche sich entfernte, erkannte ich die hohen Backenknochen und das dünkelhafte Profil des Chevalier de Saint-Laurent. Er machte auf dem Absatz kehrt, und für einen Moment ruhte sein verächtlicher Blick auf der portechaise. Ich wandte den Kopf ab, doch sekundenlang trafen sich unsere Blicke, und ich empfand Furcht und Demütigung.
    Nicht doch, sagte ich mir grimmig. Er erkennt dich nicht. Er kann dich nicht erkennen. Als ich mich wieder umschaute, war er verschwunden.

    »So, so, Madame Pasquiers Tochter, das kleine Mädchen, das nicht an den Teufel glaubt; groß ist sie geworden. Was bringt so ein Mädchen dazu, sich auf La Voisins Kosten ein Kleid machen zu lassen, hm?« La Vigoreux, die Frau des Schneiders, hatte mich nach Austauschen des Geheimzeichens in das Etablissement in der Rue Courtauvilain geführt, das ich in guter Erinnerung hatte. Ein Feuer züngelte im Kamin in der Werkstatt, die sich hinter der Haustüre befand. Ein Lehrling nähte Roßhaar in den Saum eines weiten Gewandes aus burgunderrotem Satin. Maßbänder, Nadelkissen und Scheren lagen auf dem riesigen Zuschneidetisch.
    »Ich lerne, mir meinen Unterhalt zu verdienen«, antwortete ich, als sie mir aus meinem Umhang half und ihn an einen Haken hängte. Beim Anblick des abscheulichen Kleides brach sie in Lachen aus.
    »Nicht darin, will ich hoffen, es sei denn, sie plant, daß du am Foire St. Germain eine Komödiantenbude eröffnest.«
    »Meinem eigenen Kleid ist ein Mißgeschick zugestoßen«, sagte ich unwirsch.
    »Ja, das kann ich mir denken, denn als die Tochter des seligen Monsieur Pasquier ausgerechnet um die Zeit verschwand, als der Inhalt seines Letzten Willens bekannt wurde, kam die Polizei hierher und ließ sich eine vollständige Beschreibung ihres Trauerkleides geben. Ich war erleichtert, als sie ihren Leichnam im Leichenschauhaus im Châtelet identifizierten. Damit schien die Sache abgetan. Selbstmord aus Verzweiflung, hieß es. Sie liebte ihn innig. Gut, sagte ich, die Polizei wird sich nicht weiter damit befassen. Aber dann kamen sie wieder. Schlimmer als die Ratten in der Küche! Das Kleid wurde offenbar nicht unter den Kleidungsstücken der Opfer gefunden, die über den Leichen an Haken hängen. Nachdem sie die Stoffreste sahen, die ich zu einem kleinen Réticule verarbeitet hatte, kamen sie zu dem Schluß, das Kleid sei einfach zu kostbar gewesen, und jemand habe es aus dem Châtelet gestohlen.« Sie sah mich nachdenklich an. »Du siehst anders aus als letztes Mal, als du hier warst. Dünner. Älter. Aufrechter. Sie hat etwas mit deinem Gesicht angestellt. Ich habe dich im ersten Moment beinahe nicht erkannt. Was ist ihr Plan? Sie würde sich nicht solche Mühe machen, wenn du nicht einem… Zweck dientest.«
    »Ich werde ein Gewerbe betreiben«, sagte ich, sorgsam darauf bedacht, nicht zuviel zu enthüllen.
    »Und aus deiner liebevollen Familie verschwinden, wie? Gewiß, du bist ein Mädchen, das das Leben liebt – und viel klüger als die meisten. Sage mir, welche Art Gewerbe? Du wirst doch gewiß nicht Rosenwasser destillieren – in einem Kleid aus schwarzer Seide,

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