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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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einzutreten, von der du nichts weißt? Du könntest deinem alten Vater vorlesen oder in einem behaglichen Kloster für reiche Mädchen sticken –« La Trianons Worte ließen alles Wiederaufleben, und ich konnte zunächst nicht sprechen. Dann sah ich sie an, ihr starres, schmales Gesicht, die unter die weiße Haube geschobenen Haare und ihre dunklen, zu alten Augen.
    »Rache«, sagte ich. »Es gibt einen Mann, den ich hasse. Sie hat mir versprochen, mich stark genug zu machen, um ihn zu vernichten.«
    »Nur einen?« bemerkte La Trianon. »Meiner Seel, du bist jung.«
    Nach dem Abendessen mischten sie etwas aus mehreren Flaschen von den Borden zusammen und gossen es in ein Likörglas. Als ich im kleinen Empfangssalon unter den astrologischen Tabellen saß, spürte ich die Wirkung des Gebräus. Eine köstliche Schlaffheit beschlich Geist und Körper; meine Gedanken wurden langsam und verschwommen. Der Schmerz verging, als sei alles nur Einbildung gewesen.
    »Wie fühlst du dich jetzt?« fragten sie.
    »Wunderbar. Was war in dem Gebräu?«
    »Ach, dies und das. Aber hauptsächlich Opium. Denke daran, nicht tagsüber.«
    »Es ist mir vorher nicht aufgefallen – der Salon ist so hübsch.
    Seht, wie die Kerzenflammen einen kleinen Lichtkreis um sich bilden – beinahe wie Gesichter.«
    »Und das ist das Mädchen, das Desgrez davon abgelenkt hat, ihm nach Hause zu folgen. Sie scheint jetzt eine ganz andere.«
    »Desgrez. Wer ist er wirklich?«
    »Wirklich? Der gefährlichste Mann von Paris. Das Oberhaupt des Wachdienstes und La Reynies rechte Hand, aber La Reynie befaßt sich nicht mit niederen Kreisen. La Reynie erteilt die Befehle, Desgrez nimmt die Verhaftungen vor. Dieser Mensch, Desgrez, ist unermüdlich. Er verkleidet sich, er taucht überall auf. Hüte dich vor ihm, wenn du ihn jemals wiedersiehst. Freilich, er könnte ganz anders aussehen.« La Trianons Gesicht war ernst.
    »Seht nur, wie der Rauch aufsteigt, wie ein dünner blauer Faden. Die Kerzen könnten hängen – man müßte den Salon mit Girlanden schmücken. Sie würden festlich aussehen – Schwarz ist so schlicht.«
    »Es ist nicht die Aufgabe unseres Gewerbes, festlich auszusehen. Hier drinnen soll es mysteriös sein. Das läßt die Kunden wiederkommen. Dieser kleine Schauder Angst, daß sie in eine andere Welt eintreten, die Welt des Okkulten. Was wir wirklich brauchen, ist ein Totenschädel. Oder vielleicht ein Skelett. Es würde das Geschäft unendlich beleben.« La Dodée blickte nachdenklich in eine etwas kahle Ecke neben einer kleinen Nische.
    »Sagt mir«, bat ich; mein Inneres fühlte sich ganz warm und träge an. »Ist La Voisin auch eine – ein Hermaphrodit?«
    »Sie? Kaum«, wieherte La Dodée. »Die hat jeden Tag ein neues Mannsbild. Liest sie auf wie Melonen auf dem Markt und stolziert mit ihnen nach Hause, vor den Augen ihres lächerlichen alten Gemahls. Im Moment liebt sie Magier, aber eine Zeitlang waren es Alchimisten – und dann hat sie noch eine Affäre mit dem Scharfrichter, aber ich nehme an, das zählt zum Geschäft –«
    »Du solltest mehr Respekt zeigen«, unterbrach La Trianon. »Ihre Ohren sind überall.« Sie sah mich an und schien zufrieden mit dem, was sie in meinem Gesicht las, was immer das sein mochte. »So du es nicht schon weißt, wirst du es bald genug wissen. Catherine Montvoisin ist die mächtigste Hexenmeisterin in Europa.«
    »Eine Hexenmeisterin? Ihr meint, sie hat sich der Magie verschrieben? Ich dachte, sie sei eine Wahrsagerin.«
    Die beiden Frauen sahen mich ernsthaft an. Dann sprach La Trianon: »Catherine Montvoisin ist die Größte unter uns Hexen. Sie ist unsere Königin.«
    In dieser Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum. Mir träumte, ein gesichtsloser Mann verfolgte mich. Mutter kam auch darin vor, aber sie war riesengroß und abscheulich geworden. Die Straßen von Paris waren ein endloser Irrgarten, und ich raste hindurch auf der Suche nach etwas Kostbarem, das ich verloren hatte. Der gesichtslose Mann war mir dicht auf den Fersen, um es mir zu rauben, wenn ich es fände. Gerade als es da war – was war es? Ein Haus? –, drehte ich mich um und sah den gesichtslosen Mann drohend über mir, ein Messer in der Hand. Als ich schauderte und meine Augen aufschlug, um ins Dunkel zu starren, merkte ich, daß ich fest eingeschnürt auf Eisenstangen lag. Der Schmerz sickerte wie Säure durch meine gequetschten Knochen. Ich tastete neben dem Bett nach der halbvollen Flasche, die man mir dagelassen hatte,

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