Die Hexe von Paris
gewöhnlich auf La Lepères Frisiertoilette lehnte. Keine Bewegung verriet, daß eine Menschenseele sich in der Stube aufhielt, und ich konnte ehrlich sagen, daß ich mein Versprechen hielt, da ich ja in einen Spiegel sah, nicht aus dem Fenster. Aus dem Kommen und Gehen schloß ich, daß sich unten entweder ein Spielsaal, ein Haus von übler Reputation oder beides befinden mußte, wenngleich mir La Lepères Verbindung dazu nach wie vor unklar war. Manchmal glaubte ich Leute aus meiner Mutter Salon zu erkennen; einmal glaubte ich gar Onkel zu sehen, doch konnte ich mich geirrt haben.
Einmal vernahm ich einen Knall und durchdringende Schreie, und La Lepère wurde hastig von dem kalten Abendessen fortgerufen, das sie für uns beide hatte kommen lassen. Sie kam kopfschüttelnd zurück und sagte: »Die Herren schrecken vor nichts zurück. Sie haben das Geld aufs Bett geworfen und sich lachend davongemacht. Kannst du dir das vorstellen? Ein Feuerwerkskörper, das Schwein, und keiner konnte ihnen Einhalt gebieten.« Sie saß eine Weile auf dem Bett, den Kopf in die Hände gestützt. Dann erhob sie sich zum Gehen. »So, Mademoiselle, wir mußten nach dem Priester und der Polizei schicken. Du wirst also keinen Fuß auf den Boden setzen, bis ich zurückkomme. Ich wünsche, daß sie unten nichts hören. Sie dürfen nicht ahnen, daß noch jemand hier in der Stube ist.«
»Natürlich«, erwiderte ich. Denn unterdessen hatte ich begriffen, daß die Polizei denen dicht auf der Spur bleibt, die in den Armenvierteln gemietete Zimmer bewohnen. Auf diese Weise machen sie Ketzer, Verfasser von Flugschriften und Anstifter von Straßenkrawallen dingfest. La Lepère entfernte sich kopfschüttelnd und murmelte: » – nicht daß die Polizei etwas tun wird, bewahre; diesen arroganten jungen Herren ist nicht beizukommen. Dennoch, La Reynies Hunde müssen überall wühlen, und sie lieben ein ordentliches Protokoll. Berichte, Berichte. Heutzutage kann eine Frau nicht mal ihren Unterhalt verdienen –« Erst als sie gegangen war, wurde mir bewußt, daß ich auf ihrer Schürze Blutspritzer gesehen hatte.
Daraufhin traf ich einen wichtigen Entschluß. Die Vorstellung, daß die Polizei das Haus durchsuchte, ließ mich endlich erkennen, daß ich meine Notizbüchlein verschlüsselt führen mußte. Griechisch hätte genügt, aber ich konnte es nur ein wenig lesen, mich aber nicht darin ausdrücken. Daher begnügte ich mich damit, französisch im griechischen Alphabet zu schreiben, stark mit griechischen und lateinischen Worten sowie zahlreichen Abkürzungen durchsetzt. Das reichte, um einen ungebildeten Polizeioberst an der Entzifferung meiner Gedanken zu hindern, welche bei gewöhnlichen Geistern als ketzerisch hätte gelten können. An diesem Abend wurde mir endgültig bewußt, daß ich die Welt der Kultur und der feinen Gesellschaft, wo ein Lakai einem naseweisen Staatsbediensteten die Türe weisen konnte, hinter mir gelassen hatte. Ich war eingetreten in die Welt der rücksichtslosen polizeilichen Durchsuchungen, der Informanten, der question préleable – eine hübsche Bezeichnung für die Folterung derer, die auf Verdacht aufgegriffen wurden –, der ordnungsliebenden Magistraten und raschen Exekutionen. Mein einziger Vorteil als Frau war, daß ich nicht dazu verurteilt werden konnte, mein Leben rudernd auf den Galeeren der königlichen Flotte zu beschließen. Das Rütteln des Winterwindes an den Fensterläden lenkte meine Gedanken auf etwas anderes; mir fiel ein, daß bald Weihnachten war, und ich hatte kein Heim. Ich dachte, das Herz würde mir brechen.
22. Dezember 1674. Was bin ich jetzt anderes als ein Geist, der vertraute Szenen mit anderen Augen sieht, unsichtbar die Stätten durchstreifend, wo ich einst gelebt habe, sehend, ohne gesehen zu werden? Vater hat nicht an Geister geglaubt, ich aber glaube an sie, da ich nun zu ihnen gehöre. Was bewahrt einen Geist vor dem Wahnsinn, wenn er verdammt ist, alles aufzusuchen, was ihn einst im Leben erfreute, und weiß, daß er nie zurückkehren kann? Arbeit und nur Arbeit. Arbeit und Rache.
Es war eine große Erleichterung, wieder draußen zu sein unter dem hohen, klaren Dezemberhimmel, in einer portechaise, das unsägliche grün-gelbe Kleid unter einem alten Umhang aus grobgewebter Wolle versteckt. Der kalte Wind pfiff zwischen den Häusern auf der schmalen Straße und rüttelte an den Schornsteinen. Mit einer Hand umklammerte ich ein Bündel mit meiner spärlichen Habe, mit der anderen
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