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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Boden herum und sammelte die verstreuten Bücher auf. Seine Tochter wandte die Augen ab. Plötzlich drehte La Voisin sich um und sah mich in der offenen Türe stehen.
    »Was hast du gehört?«
    »Nichts«, erwiderte ich. Wie ungemein ärgerlich. Ich hatte einen wahnsinnigen Haushalt mit einem anderen vertauscht. Lebte denn niemand anständig in dieser umnachteten Stadt? Wenn man bei der größten Hexe von Paris beschäftigt ist, erwartet man schließlich etwas Besseres. Eleganz. Etwas Geheimnisvolles. Keinen gemeinen Hauskrach.
    »Gut«, antwortete sie. »Du lernst sehr schnell. Margot, kümmere dich um das Essen. Ich lasse mir meinen wunderschönen Abend nicht von einem Mann verderben.« Sie sah ihren Gatten verächtlich an, der sich mit dem Ärmel seines Schlafrocks die Nase putzte.
    Viel später bin ich gefragt worden, wie eine Mahlzeit unter Hexen beschaffen ist. Tun sie sich an Menschenfleisch gütlich? Kommen sie auf Besenstielen angeritten? Dies sind die Vorurteile der Uneingeweihten. Die Hexen kamen zu Fuß, in eleganten Kleidern, Umhängen, Kapuzen von der Christmette in Notre-Dame de Bonne Nouvelle den kurzen Weg zu La Voisins eleganter kleiner Villa herübergeschlendert. Die Gesellschaft, die sich dort den Hexen anschloß, war kultiviert und vornehm – Advokaten, ein Baumeister und etliche Priester und Abbés, mit und ohne Kutte. Pater Davot, der Familienbeichtvater von Notre-Dame de Bonne Nouvelle, leistete uns ebenso Gesellschaft wie Le Sage, der Magier.
    Auf dem reichgedeckten Tisch brannten unzählige Kerzen – weiße, nicht schwarze – in hübschen silbernen Kandelabern. Es gab Schinken, mit Anis geräuchert, Kapaune und Enten in würziger Sauce, reichhaltige Suppen und Pasteten und Süßigkeiten von erlesener Köstlichkeit. Die Servierschüsseln waren aus Silber, mit Ausnahme etlicher großer Terrinen aus exquisit bemaltem Porzellan. Es gab freilich ein kleines Mißgeschick während des Suppengangs, als Margot gerade dann gegen Monsieur Montvoisins Arm rempelte, als er seinen Löffel zum Mund führen wollte, worauf er das schöne weiße Tischtuch bekleckerte. Seine Frau funkelte ihn böse an; er aber wies die Magd mit einem Blick auf die Pfütze auf dem Tischtuch an, den Suppenteller abzuräumen, ohne daß er davon gekostet hatte. »Dann stelle ich ihn eben für die Ratten in die Küche«, sagte Margot schnippisch.
    Davon abgesehen verlief der Abend exzellent. Pater Davot aß von allem eine zweite Portion, und Le Sage trank zuviel Wein und begann zu singen. Ich als Ehrengast in meiner neuen Rolle kostete von dem mit Austern gefüllten Kapaun in Kapernsauce und erklärte das Gericht für »zu neumodisch«, verglichen mit den einfachen gesunden Speisen, die man zur Zeit Heinrichs IV. auftischte, als alles in einem Kessel gekocht wurde. Ich beklagte den Niedergang der Zeiten mit einer Glut, die meine Großmutter entzückt hätte. Ich probierte veraltete Gesten und Redewendungen aus, die bei Tisch mit Ehrfurcht und Beifall aufgenommen wurden. Es war wohltuend, Gegenstand der Bewunderung zu sein, ich, die ich einst nur als Zielscheibe grausamer Witzeleien getaugt hatte. Und während ich sprach, erinnerte ich mich an Großmutter, ja, ich wurde Großmutter. Ich nahm sie gleichsam in mich auf, und sie tröstete mich durch ihre Gegenwart. Ich werde mir bei der ersten Gelegenheit einen Papagei kaufen, nahm ich mir vor. Dem Wein sprach ich natürlich nur mäßig zu. Denn sollte er mir jemals die Zunge lösen, könnte er alles verderben.
    Dieser Abend war mein erster Triumph. Erst in der Stunde vor dem Morgengrauen waren die Kerzen niedergebrannt, war das letzte Lied gesungen, die letzte Flasche geleert. Die Sterne waren verblaßt, und rosenfarbenes Licht vertrieb die Schwärze über der Porte St. Denis, als ich in einer Sänfte aufbrach. Ein neuer Tag. Ich war unsagbar zufrieden, als ein verirrter Passant, noch betrunken von der vergangenen Nacht, stehenblieb, um voller Ehrfurcht die mysteriöse verschleierte Dame in Schwarz zu bestaunen.

KAPITEL 9
    W ar mein früheres Dasein arm an Festlichkeiten, so wurde ich durch das neue Leben in der Gesellschaft reichlich entschädigt. Eine schauerliche bunte Welt aus mittellosen Marquisen und Chevaliers, Abbés und Grafen, größtenteils mit zweifelhaften oder gar vollends falschen Titeln, bevölkerte die Randbezirke des Hofes; alle bewirteten sich gegenseitig und waren bestrebt, vorwärtszukommen. Ein Amt, eine Pension, eine Einladung oder auch nur ein Blick waren

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