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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Merkle-Riley
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Den leicht durchsichtigen Schleier an meinem perlenbestickten Häubchen hatte ich zurückgeschlagen, um mein Gesicht besser zu sehen. Bleich und angespannt vor Schmerzen von dem schweren Korsett unter dem Kleid, schwebte es im Halbdunkel wie eine unheimliche Maske. Es war ein fremdes Gesicht, das ich unter dem weißen Puder und den hohen, kunstvoll gewölbten Augenbrauen kaum erkannte: uralt, verborgen unter der Maske der Jugend. Schön auf seine Art, und völlig unerwartet. Mein Rücken, der sich noch gegen die langen Eisenstäbe krümmte, die ihn kaum aufrecht hielten, sah altersgebeugt aus. Ein langer Spazierstock aus Ebenholz, fast so hoch wie ich, mit einem silbernen Ring und einem Büschel schwarzer Bänder verziert, vervollständigte das Bild und diente zugleich dazu, meine Balance zu halten und die letzten Spuren meines Hinkens zu verschleiern. Es war, als sei ich tatsächlich einem früheren Jahrhundert entstiegen, eine alte Frau, konserviert von schauerlichen Geheimkünsten, die ihr den Anschein ewiger Jugend verliehen hatten. Ich war von der dramatischen Wirkung hingerissen. Eine geheimnisvolle Frau. Ein neuer Mensch.
    »Unglaublich«, sagte Le Sage kopfschüttelnd. Die schwarzen Augen der Hexenmeisterin leuchteten, als sie ihre Schöpfung begutachtete.
    »Ich habe es gewußt. Ich habe es von Anfang an gesehen. Jetzt ist es vollkommen. Habt Ihr die Vorkehrungen getroffen?«
    »Ja, ich habe gestern beim Comte de Bachimont vorgesprochen. Ich habe ihm erzählt, ich hätte sie als Kostgängerin in einem winzigen Dachstübchen im Ursulinenkloster entdeckt – nahezu verhungert natürlich. Er sagte, ich müsse sie unverzüglich zu ihm bringen, sonst würdet Ihr sie Euch gewiß schnappen, auf daß sie Eurer Reputation förderlich sei. Er ist hoffnungslos verschuldet und möchte sich ihrer bedienen, um Eintritt in Kreise zu erlangen, bei denen er noch nichts geborgt hat.«
    »Ausgezeichnet. Und nicht vergessen«, wandte sie sich an mich, »kein Wort zu dem Comte oder der Comtesse von deiner Verbindung zu mir. Sie sind dem Chevalier de Vanens und seiner Clique verbunden. Alchimisten, mit einem Laboratorium in Lyon. Möglicherweise auch Falschmünzer, wenn meine Mutmaßungen stimmen. Sobald sie dich in die besseren Kreise eingeführt haben, läßt du sie fallen – aber sachte. Du darfst keinen Verdacht erregen –«
    Die kleine Beratung wurde von einem Krawall aus dem Erdgeschoß unterbrochen. »Verdammt soll er sein, er ist schon wieder dran!« rief La Voisin und stürmte die Stiege hinunter, dicht gefolgt von Le Sage. »Nicht!« hörte ich Margot kreischen. Quengelnde Kinder waren zu hören, Krach und Poltern. La Trianon und La Dodée folgten die schmale Stiege hinab, und ich hinkte vorsichtig hintendrein, denn Treppen bildeten die größte Gefahr für mein neues Gleichgewicht.
    Als ich unten ankam, war der Streit in vollem Gange. Die Schranktüren des kleinen Kabinetts der Hexe standen offen, die Schlösser waren gewaltsam geöffnet worden. Bücher mit merkwürdigen Diagrammen waren verstreut, verstöpselte Flaschen kullerten am Boden. Antoine Montvoisin, der noch mehrere Bücher an seine magere Brust gedrückt hielt, wurde erbarmungslos von Le Sage verprügelt, während Marie-Marguerite Le Sage von ihrem Vater fortzuziehen suchte.
    »Was tut Ihr da, wenn ich fragen darf?« kreischte La Voisin zornesbleich.
    »Ich verbrenne sie. Verbrenne das schmutzige Zeug. Ich habe dieses dreckige Gewerbe satt. Lieber eine Brotkruste in Ehren als ein Festmahl, das geradewegs vom Teufel kommt.«
    »Ihr verzehrt das Festmahl nur zu begierig, wenn jemand anders dafür aufkommt. Wer hat Euch aus dem Schuldturm geholt, jammerndes Kind? Ich stopfe zehn Mäuler, und das größte davon ist Eures. Was habt Ihr je für mich getan, außer im Geschäft zu versagen? Und nun, da ich mit meinem Gewerbe Erfolg habe, wollt Ihr es nicht dulden. Stellt meine Zauberbücher zurück, oder ich schwöre, Ihr werdet den morgigen Tag nicht erleben.«
    »Ihr denkt wohl, ich weiß nicht, was Ihr treibt, Ihr mit Eurem feinen Gerede und Euren vornehmen Freunden? Der Ofen hinter dem Wandteppich? Der gespenstische Pavillon im Garten? Wenn sie zu Euren Gartenfesten kommen, tanzen sie auf Leichen, diese Damen der Gesellschaft. Und sie sind vergoldete Ungeheuer, genau wie Ihr.«
    »Stellt sie zurück«, sagte La Voisin eisig, mit funkelnden Augen über ihm aufragend, als er sich auf den Fußboden kniete. Der kleine Mann im schmutzigen Schlafrock kroch auf dem

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