Die Hexe
ab. Die Stelze löste sich augenblicklich in Luft auf. Nun balancierte der Söldner nur noch auf dem linken Bein, während er das rechte über die Mauerbrüstung auf die andere Seite schwang. Dann schaltete er den Generator wieder ein.
»Mit Festhalten kann’s ja jeder«, stichelte Jana kichernd.
»Also bitte, Bjana, ich finde es ja richtig, dass wir unseren schwarzen Schwestern zu Hilfe eilen, aber das ist nun wirklich übertrieben – bei aller Liebe.« Die mit einem knappen Bikini bekleidete Jamana tauchte angewidert die große Zehe in die eisigen Fluten der Moskwa und sah ihre ältere Freundin vorwurfsvoll an. »Warum müssen wir unbedingt durch den kalten Fluss schwimmen, wenn wir doch genauso gut den Haupteingang benutzen könnten ?«
»Das habe ich dir doch schon erklärt«, erwiderte Bjana milde, während sie die Spaghettiträger ihres Oberteils fixierte. »Wegen des Überraschungseffekts. Ich möchte hier keinen Wirbel verursachen, sondern möglichst geräuschlos eindringen und dieser Kara diskret die Gurgel durchschneiden.«
»Warum benutzen wir nicht wenigstens ein Boot?«, nölte Jamana.
»Ich könnte mir auch etwas Angenehmeres vorstellen, als in diese kalte Brühe zu steigen«, entgegnete Bjana und seufzte. »Aber ich brauche dir doch hoffentlich nicht zu erklären, dass ein Boot viel zu auffällig wäre. Wenn wir schwimmen, sind wir erstens schneller und kommen zweitens unbemerkt ans andere Ufer. Stimmt’s etwa nicht?«
Jamana machte einen Schmollmund und blickte verdrießlich zum anderen Ufer hinüber, wo sich der Park der Villa Karavella erstreckte.
»Also meinetwegen. Aber unter einer Bedingung: Ich werde diesem Luder die Kehle durchschneiden. Das ist mir ein persönliches Bedürfnis.«
»Abgemacht«, schmunzelte Bjana und watete ins eisige Wasser hinein.
»Gibt’s schon Neuigkeiten von Mohammed?«, erkundigte sich Arnold nervös.
Die Zwillinge Wanja und Wassja, die am Kontrollpult der Videoüberwachung saßen, sahen einander an und schüttelten den Kopf.
»Er müsste längst zurück sein.«
Mit besorgten Mienen heuchelten die Zwillinge Verständnis für die Situation, doch in Wahrheit interessierte sie Mohammeds Verbleib wenig. Arnold hatte sie bei ihrer Lieblingsbeschäftigung gestört: Die Brüder spielten die Internetversion von War Craft III. In Anwesenheit des Wikingers ließen sie das lieber bleiben – Arnold galt als notorischer Denunziant, der selbst kleinste Verfehlungen sofort Kara meldete.
»Gibt’s irgendwelche Probleme?«
Die Zwillinge schüttelten synchron den Kopf.
»Ging die Alarmanlage los?«
Das Kopfschütteln wurde heftiger.
»Ist Inga aufgetaucht?«
Hätte der hünenhafte Magier noch eine weitere Frage gestellt, wären die Köpfe der Zwillinge womöglich abgerissen, doch stattdessen starrte Arnold konsterniert auf den Monitor, auf dem das Bild vom Haupteingang flimmerte.
»Das glaube ich nicht!«
Wanja und Wassja schauten neugierig auf den Bildschirm. Direkt im Fokus der Überwachungskamera stand ein schwarzer Land Cruiser, und ein kurzhaariger, mit schwarzer Hose und Lederjacke bekleideter Mann näherte sich dem Tor.
»Reagiert nicht, wenn er läutet!«, befahl Arnold im Hinauslaufen. »Den werde ich persönlich begrüßen.«
Die Zwillinge sahen einander verwundert an und widmeten sich wieder ihrem Computerspiel.
»Larissa, ich stehe bei euch vorm Tor.«
»Artjom …« Ihre Stimme klang fahrig. »Ich kann gerade nicht. Tut mir leid …«
»Komm bitte kurz zu mir raus, Larissa«, beharrte der Söldner mit sanftem Nachdruck. »Es ist sehr wichtig und dauert nicht lange.«
»Aber ich …«
»Bitte!«
»Also gut. Ich komme gleich.«
Artjom steckte sein Mobiltelefon weg und sah sich um. Das geschmiedete Eingangstor verriet einerseits Stil, andererseits verbreitete es das Flair eines Hochsicherheitstrakts – genau wie die massive Mauer, die den Park umfriedete.
Artjom ging davon aus, dass man sein Erscheinen per Videoüberwachung längst bemerkt hatte, und wunderte sich ein wenig, dass man ihn über die Sprechanlage nicht nach seinem Begehr fragte. Der Söldner drehte langsam den Kopf und hatte plötzlich das Gefühl, von jemandem angestarrt zu werden. Waren die Überwachungskameras der Grund? Nein. Ein leichtes Prickeln des Wachsamen Habichts auf seinem Schulterblatt gab ihm zu verstehen, dass jemand in der Nähe ihm nicht wohlgesonnen war. Nicht unbedingt ein Feind, aber jemand, der nicht zum Scherzen aufgelegt war.
Der Söldner trat
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