Die Hexe
Dunklen Hofs ließ ihn gewähren.«
»Tatsächlich?«, staunte Larissa. »Das passt aber nicht sehr gut mit dem zusammen, was du gerade erzählt hast.«
»Es war im Interesse des Herrscherhauses. Trotz seiner Selbstherrlichkeit gilt Santiago als der beste Kommissar in der Geschichte des Dunklen Hofs, deshalb tolerieren die Nawen seine Allüren.«
»Und du behauptest, sie seien streitbar.«
»Wenn es dem eigenen Nutzen dient, würden sie sogar mit Stinktieren auskommen. Santiago hat bewiesen, dass er für den Dunklen Hof unentbehrlich ist.«
»Das hätte ich nicht gedacht«, gab Larissa zu und musterte Arnold. »Du weißt eine Menge. Bist du schon lange in der Verborgenen Stadt?«
Larissas Blick war respektvoll, jedoch weit davon entfernt, ihn anzuhimmeln. An diesem Punkt dämmerte Arnold zum ersten Mal, dass es nicht ganz leicht sein würde, die blonde Zauberin zu erobern. Der solide Magier genoss nicht ganz zu Unrecht den Ruf eines Herzensbrechers. Er hatte ein feines Gespür für Frauen, setzte geschickt seinen Charme ein, ohne aufdringlich zu sein, und wusste stets, wann Draufgängertum und wann Zurückhaltung gefragt war.
In diesem Fall hielt es Arnold für ratsam, die Dinge nicht zu überstürzen. Larissa schien ihm gegenüber zwar nicht abgeneigt, doch andererseits war sie so auf die Verborgene Stadt fixiert, dass allzu stürmische Annäherungsversuche womöglich alles verdorben hätten. Folglich entfernte er seinen Blick aus Larissas Ausschnitt, bevor er ihre Frage beantwortete.
»Schon ziemlich lange, mehrere Jahre.« Er hielt kurz inne, würzte seine Stimme mit einer Prise Bitternis und fügte hinzu: »Ich bin in Bergkarabach geboren, mein Vater hat dort auf dem Bau gearbeitet. Du weißt ja selbst, was im Kaukasus los war, als das Imperium auseinanderfiel. «
Larissa nickte und erinnerte sich an die beklemmenden Fernsehreportagen über die blutigen Ausschreitungen in den ehemaligen Kolonien.
»Meine Eltern kamen bei einem Pogrom ums Leben. Mir gelang es zu fliehen, zuerst nach Rostow und dann weiter nach Moskau. Ich hatte nicht mal ein Dach über dem Kopf.« Arnold setzte seine kummervollste Miene auf. »Ein Glück, dass Kara auf mich aufmerksam wurde und meine Begabung für die Magie erkannte. Sie hat mich von der Straße geholt …«
Die meisten Frauen sind gutgläubig und haben eine mitfühlende Ader. Es gehörte zu Arnolds Standardrepertoire, sie emotional einzulullen, indem er gehörig auf die Tränendrüse drückte.
In jedem Märchen steckt ein Körnchen Wahrheit. Und so war es auch bei Arnolds Rührstück vom Zwei-Meter-Waisen. Das Körnchen Wahrheit bestand darin, dass er nicht in Moskau geboren war. Aus dem Kaukasus stammte er indes keineswegs.
Der junge Müßiggänger war vor vier Jahren aus der Gegend von Charkow in die Hauptstadt gekommen, allerdings nicht etwa, um wie seine ambitionierten Landsleute an einer Moskauer Universität zu studieren, und schon gar nicht, um auf dem Bau zu schuften. Arnold wollte sich in den hauptstädtischen Spielcasinos gesundstoßen, um deren Reichtum sich in Charkow Legenden rankten. Seine bescheidenen magischen Fähigkeiten setzte er ausschließlich dazu ein, andere Leute beim Kartenspiel auszunehmen. Arnolds Vorhaben war ebenso dreist wie naiv. Schon nach zwei Wochen flog er auf und eines Morgens statteten ihm vier Kleiderschränke einen Besuch ab und erkundigten sich auf nachdrückliche Weise nach dem Grund für die bemerkenswerte Glückssträhne des Zugereisten. Da sie keine befriedigende Antwort erhielten, kamen sie zu dem Schluss, dass sie es mit einem gewöhnlichen Falschspieler zu tun hätten, und erwogen ernsthaft, den verängstigten Arnold an die Fische der Moskwa zu verfüttern. Doch dank eines glücklichen Zufalls hatte auch Kara von dem unverfrorenen Betrüger gehört. Ihr war natürlich sofort klar, warum der Ukrainer so viel Glück im Spiel hatte. Sie ließ ihre ausgezeichneten Beziehungen spielen, rettete Arnold den Hals und spannte ihn für ihre Zwecke ein.
»So so, du warst also ein Straßenkind«, resümierte Larissa kühl. Seine herzzerreißende Geschichte beeindruckte sie nur mäßig. »Hast du auch eine Schule des Grünen Hofs besucht?«
»Natürlich«, erwiderte Arnold, der nun endgültig wusste, dass er es mit einer harten Nuss zu tun hatte.
»Und wie lange?«
»Ein Jahr. Warum fragst du?«
»Ich langweile mich schrecklich dort«, seufzte die junge Frau. »Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ich diesen Unterricht
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