Die Hexe
das Jana selbst nicht so genau wusste, wonach konkret sie eigentlich suchen sollte. Cortes hatte die Aufgabe so verschwommen formuliert, dass eigentlich nichts anderes übrigblieb, als alle viertausend Bücher zu durchstöbern. Ein herkulisches Unterfangen.
Die Söldnerin nahm den ersten Band von Civilisation H aus dem Regal, einem Werk, das Schatyren im Auftrag des Dunklen Hofs verfasst hatten. Sie legte den dicken Schmöker auf den Tisch und blätterte unschlüssig darin. Im ersten Band wurde die Herkunft der Humos abgehandelt. In keinem anderen Werk wurden belastbare Fakten über die Herkunft der Menschheit so detailliert zusammengetragen, wobei die Schatyren zu völlig anderen Ergebnissen kamen als Sir Charles Darwin in seiner berühmten Theorie. Jana wusste, dass zwischen diesen vergilbten Buchdeckeln eine wissenschaftliche Sensation schlummerte, doch leider brachte sie diese Erkenntnis nicht weiter, denn eigentlich suchte sie nach etwas völlig anderem. Sie klappte das Buch zu und betrachtete frustriert die übrigen zweihundertzwölf Bände von Civilisation H , die über ihr im Regal standen.
»Sie interessieren sich für die Geschichte Ihres Volks?«
Jana wandte sich um. Im Gang stand ein junger Schatyr, der einige dünne Broschüren unter dem Arm trug.
»Ich war schon lange nicht mehr in einer Bibliothek«, erwiderte Jana zerstreut. »Offenbar habe ich verlernt, wie man gezielt recherchiert.«
»Und deshalb machen Sie so ein betrübtes Gesicht?«
»Ausschließlich deshalb.«
»Kann ich Ihnen vielleicht helfen?«
»Das wäre ein netter Zug.«
Der schwarzäugige Schatyr setzte sich neben Jana an den Tisch und stellte sich vor: »Ular Hamzi. Und Sie sind Jana, nicht wahr?«
»Kennen wir uns?«
»Mein Bruder hat mir von Ihnen erzählt.«
»Ihr Bruder?«
»Bidjar.« Bidjar Hamzi war der Geschäftsführer des größten Warenhauses der Handelsgilde und kannte die Söldner schon lange. »Außerdem habe ich Sie in der Atomhenne gesehen, als mein Bruder eine Pokerrunde gegen Cortes spielte.«
»Und gewann.«
»Ja, er war sehr zufrieden.«
»Kein Wunder.«
»Ehrlich gesagt war sich mein Bruder sicher, dass er gewinnen würde. Er wusste, dass Cortes die Matchpraxis fehlte.«
»Das habe ich Cortes auch gesagt«, seufzte Jana. »Aber er wollte wieder mal nicht auf mich hören.«
»Cortes …« Ular machte ein bedauerndes Gesicht. »Als ich Sie in der Atomhenne zum ersten Mal sah, war ich – offen gestanden – sehr angetan. Doch als ich Cortes als ihren Begleiter erkannte, wurde mir klar, dass ich wohl zu spät gekommen bin.«
Jana schwieg und ihr koketter Blick verriet weder eine Bestätigung noch ein Dementi.
»Stimmt doch, oder?«
Der Schatyr musterte Jana unverwandt. Das strenge, graue Kostüm betonte ihre schlanke Figur und bildete einen dezenten Kontrast zum langen schwarzen Haar, der sonnengebräunten Haut und den leuchtend blauen Augen der jungen Frau.
Jana war daran gewöhnt, von Verehrern belagert zu werden, und lächelte ebenso charmant wie routiniert: »Stimmt, ja. Sie haben mein Verhältnis zu Cortes richtig interpretiert.«
»Sie werden verstehen, dass ich sichergehen wollte«, sagte Ular und breitete entschuldigend die Arme aus.
»Natürlich. Sie hatten angeboten …«
»Du … Wenn es Ihnen recht ist.«
»Gern. Also Ular, du hattest angeboten, mir zu helfen. «
»Gewiss doch.« Ular hatte sich nicht ernsthaft ausgerechnet, dass er bei Jana würde landen können, und freute sich aufrichtig darüber, der bezaubernden Frau einen Gefallen tun zu können. »Du hattest gesagt, dass du Schwierigkeiten hast, bestimmte Informationen zu finden. Im Regelfall passiert das immer dann, wenn man nicht genau weiß, wonach man sucht.«
»Im Prinzip weiß ich das schon. Das Thema ist nur so allgemein, dass ich keinen Plan habe, wie ich es angehen soll.«
»Und um welches Thema handelt es sich?«
»Humo-Zauberer. Ich möchte herausfinden, ob es in der Geschichte unseres Volks mächtige Magier gegeben hat.«
»Du bist also sozusagen auf der Suche nach dem magischen Potenzial, das in deinem Volk steckt.«
»Genau. Ich halte es für zutiefst unbefriedigend, dass die Menschheit mit der Magie so auf Kriegsfuß steht.«
Ular lächelte: »Stimmt. Man hat sich inzwischen daran gewöhnt, dass die Humos keine ernst zu nehmenden Magier hervorbringen.«
»Aber früher einmal hat es sie doch gegeben.«
»Früher – ja. Doch dann habt ihr euch für einen anderen Weg entschieden und euch ausschließlich
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