Die Hexe
zufrieden die beiden Whiskeyflaschen in den Händen. Er gähnte und beobachtete, wie sein Trupp die verängstigten Halbstarken verfolgte. Dann kratzte er sich zerstreut unter dem noch nie gewaschenen Kopftuch, gähnte abermals und erstarrte mit offenem Mund. Aus einem geparkten schwarzen Jeep stiegen zwei Männer aus und kamen direkt auf ihn zu: Humos mit üblen Verbrechervisagen und Pistolen in den Händen, die offensichtlich keine friedlichen Absichten hegten.
»Flach auf den Boden, du Wicht!«, kommandierte der Dickere von beiden mit heiserer Stimme.
Sargnagel sah seinen weit entfernten Kämpfern wehmütig hinterher und traf die einzig richtige Entscheidung.
Noch nie zuvor hatte der Uibuj sich dazu hinreißen lassen, derart verschwenderisch mit Whiskey umzugehen, und jedes Mal, wenn er an diese Begebenheit zurückdachte, verzerrte sich sein Bulldoggengesicht zu einer Leidensmiene. Was er tat, war ein Unding, ein Tabubruch, ein Schlag ins Gesicht seiner in diesem Punkt empfindlichen Rothaubenseele.
Lolly und Pitbull waren auf alles Mögliche vorbereitet: Der zwergenhafte Biker konnte sich fügen, versuchen zu fliehen oder seine Kumpane zu Hilfe rufen. Doch stattdessen warf Sargnagel den beiden Gangstern völlig ansatzlos die Whiskeyflaschen an den Kopf, und zwar mit beiden Händen gleichzeitig und so blitzartig, dass sie nicht mehr reagieren konnten. Schon vor dreitausend Jahren galten die Rothauben als beste Schleuderer der Welt und die außergewöhnliche Wurfpräzision war ihnen angeboren. Beide Flaschen trafen ihr Ziel und bewirkten einen sofortigen Stromausfall im Gehirn der beiden Gangster. Lolly und Pitbull sanken wie nasse Säcke zu Boden und Scherben regneten auf den Asphalt. Vom Ende der Straße näherte sich Gejohle: Der Rothaubentrupp kehrte zur Bar zurück.
Nun war Eile angesagt. Sargnagel trat an die reglosen Körper heran, registrierte mit Bedauern den köstlichen Duft des verschütteten Whiskeys und durchsuchte sorgfältig die Taschen der Banditen.
»Bei denen war nichts zu holen!«, berichtete Amboss enttäuscht, während er seinen Yatagan an einem erbeuteten rotweißen Schal abwischte. »Irgendwelche halbwüchsigen Straßenräuber. Die paar Groschen, die wir ihnen abgenommen haben, reichen nicht mal für eine Fahrt mit der Straßenbahn.«
»Die beiden hier sind auch blank«, vermeldete der Kämpfer Container, nachdem er die Taschen der bewusstlosen Gangster abgetastet hatte.
»Vielleicht haben sie ihre Brieftaschen vergessen?«, mutmaßte Sargnagel scheinheilig.
»Schon möglich«, pflichtete Container widerstrebend bei, warf einen misstrauischen Blick auf das zufriedene Gesicht des Uibujen und fügte hinzu: »Aber beide gleichzeitig …?«
Sargnagel hatte den Inhalt der dicken Brieftaschen, die er den Banditen abgenommen hatte, noch nicht untersucht, doch er dachte nicht daran, mit seinen Leuten zu teilen.
»So eine Pleite«, nölte Amboss. »Dann haben wir wegen zehn Flaschen Whiskey unseren Arsch riskiert? Ich fass es nicht.«
Das Gemurre der Rothauben wurde lauter und die Zeit drängte, da jeden Moment die Polizei eintreffen konnte. Sargnagel sah sich fieberhaft um und hatte einen rettenden Einfall.
»Diese Humos sind mir ein bisschen zu frech! Gestern haben sie Burchans Schatztruhe überfallen und heute die Rennsemmel . Wir werden ihnen einen Denkzettel verpassen!«
»Und wie?«
»Ganz einfach. Zwei Mann starten die Jeeps und halten sich bereit. Zwei Mann ans eine Ende der Straße, zwei Mann ans andere: Wache halten! Der Rest mir nach!«
Sargnagel deutete mit dem Arm auf ein Juweliergeschäft, das sich nur zwei Häuser weiter befand.
Villa Karavella
Moskau, Silberhain
Donnerstag, 28. September, 11:52 Uhr
»Und bis heute weiß niemand, woher der Dunkle Hof seine magische Energie bezieht?«, fragte Larissa erstaunt.
»Als die Nawen ihre Magische Quelle installierten, gab es noch gar keine anderen Völker auf der Erde«, antwortete Arnold. »Natürlich abgesehen von den Assuren, doch die spielen heute keine Rolle mehr. Der Dunkle Hof denkt nicht daran, das Geheimnis seiner Magischen Quelle preiszugeben, denn solange niemand etwas über sie weiß, können die Nawen sich ziemlich sicher fühlen. «
»Das verstehe ich nicht«, entgegnete Larissa. »Mir wurde beigebracht, dass Magier eines bestimmten Herrscherhauses die Magische Quelle eines fremden Herrscherhauses grundsätzlich weder nutzen noch blockieren noch vernichten können. Wie passt das mit dieser
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