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Die Hexe

Die Hexe

Titel: Die Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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den entlegensten Regionen der Erde. Hier, wo eine unzugängliche Landschaft und ein raues Klima sich verbissen gegen das Vordringen der Zivilisation stemmten, konnte man noch frische Luft atmen und das Wasser aus Bächen und Seen trinken. Diese letzten Oasen der Natur waren erfüllt von der archaischen Kraft der Erde und gewisse Magier, die über ein besonderes Talent verfügten, brauchten hier keine Magische Quelle, um sich mit Energie aufzuladen. Sie schöpften sie auf natürliche Weise, indem sie mit der Seele des Planeten zu einer Einheit verschmolzen.
    Dieses besondere Talent besaßen nur die Weißen Damen, eine kleine Kaste von Zauberinnen des Grünen Hofs, die sich so gut wie nie in der Verborgenen Stadt sehen ließen.
     
    In erhabener Langsamkeit flossen die Wasser des breiten Stroms gen Norden, eingerahmt von schroffen Bergrücken, die mit undurchdringlichem Wald bewachsen waren. Die Strahlen der aufgehenden Sonne tanzten über die trägen Wellen und irgendwo in der Ferne rauschte ein Wasserfall. Zivilisatorische Errungenschaften wie Atomkraftwerke, rußqualmende Industrieschlote und Autobahnen erschienen vor dem Hintergrund dieses Idylls als Ausgeburt einer kranken Fantasie, als apokalyptische Wahnvorstellung eines Irren.
    Sie planschte ausgelassen in einer kleinen Bucht, die von mächtigen Findlingen abgeteilt war, und ihre spitzen Wonneschreie wurden weit über das Wasser getragen. Mal verschwand sie von der Oberfläche, um auf den Grund ihres Flussbades zu tauchen, mal sprang sie weit aus dem brusthohen Wasser, umspielt von glitzernden Tropfengirlanden. Mit ihrer kraftvollen, weiblichen Figur und dem langen goldblonden Haar erinnerte sie an eine Meerjungfrau. Sie erfreute sich an der Morgensonne, am satten Grün der moosbedeckten Findlinge, an den diskreten Geräuschen des Waldes und am eiskalten Wasser. An diesem Ort war sie ein Teil des Ganzen, eine Facette der Natur, die sich harmonisch in ihre Umgebung fügte, wie es nur eine Weiße Dame vermochte.
    Nachdem er das muntere Treiben der schönen Wassernixe schon eine Weile beobachtet hatte, setzte sich Santiago auf einen kleinen Felsblock am Ufer und stützte gerührt das Kinn in die Hand. Er wusste nicht, wie lange sie damit beschäftigt sein würde, die Frische des erwachenden Tages in sich aufzusaugen, doch er dachte nicht daran, die Weiße Dame zu stören.
    Sie bemerkte ihn selbst.
    Zuerst ließ sie sich nichts anmerken und tauchte abermals in die Fluten. Dann stützte sie sich auf einen der Findlinge, blickte versonnen in die Weiten der Bergwelt, um sich dann unversehens nach ihm umzudrehen.
    »Für einen Waldspaziergang hast du die falsche Kleidung an!«
    Santiago betrachtete seinen piekfeinen Anzug und schmunzelte.
    »Ich bin nicht hier, um im Wald spazieren zu gehen, sondern um dir, meine Liebe, einen Besuch abzustatten. « Der Kommissar hob flüchtig die Hand. »Schön, dich zu sehen, Susa.«
    Wäre irgendein anderer Bewohner der Verborgenen Stadt in die Verlegenheit geraten, die romantische Szene am Fluss zu beobachten, so hätte er den ungewöhnlich warmherzigen Auftritt des Nawen mit ungläubigem Staunen quittiert. In der Stimme des gefürchteten Kommissars, der die Interessen des Dunklen Hofs rücksichtslos durchzusetzen pflegte, lag tatsächlich so etwas wie Zärtlichkeit. Die Frau indes kannte Santiago nicht anders.
    Sie stieg anmutig aus dem Wasser, schüttelte das nasse Haar aus und reckte ihren nackten Körper den wärmenden Sonnenstrahlen entgegen. Aufs Neue berauschte sich Santiago an der außergewöhnlich attraktiven Figur der Weißen Dame: lange, ebenmäßige Beine, schmale Taille, volle Brüste, ein schlanker Hals und als Krönung der wohlgeformte Kopf, von dem die goldblonde Mähne herabwallte. Sie sah tatsächlich aus wie eine Wassernymphe aus den Legenden der Humos – bezaubernd, sinnlich und sehr verführerisch.
    Nachdem sie sich in der Sonne aufgewärmt hatte, bückte sie sich kurz, zog mit einer flinken Bewegung ein einfaches grünes Kleid über, hob ihre Sandalen auf, ging federnden Schrittes zu Santiago und setzte sich neben ihn auf den Felsblock.
    »Hallo, Susa«, sagte der Naw liebevoll.
    »Hallo, Santa.« Sie warf ihre Sandalen auf den Boden und strich ihr prachtvolles Haar in den Nacken. »Ich wusste, dass du kommen würdest.«
    Aus der Nähe betrachtet sah die Weiße Dame nicht mehr ganz so jung aus. Ein dichtes Netz von Fältchen durchzog ihr schmales, schönes Gesicht, ins goldblonde Haar hatten sich graue

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