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Die Hexe

Die Hexe

Titel: Die Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vadim Panov
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Strähnen gemischt und die filigranen Hände waren spröde geworden. Die Weiße Dame hatte ihren Zenit überschritten. Santiago musterte sie nur flüchtig, fast verstohlen, doch sein Blick blieb nicht unbemerkt.
    »Tjaja, Santa, es ist viel Zeit ins Land gegangen, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben«, sagte die Zauberin wehmütig.
    »Du bist immer noch schön, Susa.«
    »Immer galant – der Herr Kommissar«, schmunzelte die Weiße Dame. »Es ist nett von dir, aber du musst mir keine falschen Komplimente machen.«
    »Ich war dir gegenüber immer ehrlich, Susa«, erwiderte Santiago. »Und ich sage auch jetzt, was ich denke: Du bist schön.«
    »Jetzt vielleicht noch, mag sein«, räumte die Zauberin ein. »Aber nicht mehr lange.«
    Santiago erinnerte sich noch bis ins kleinste Detail an jenen Tag im Jahre 1934, als er Susanna, die bezaubernde junge Fate des Grünen Hofs, zum ersten Mal sah; ihre strahlenden, smaragdgrünen Augen, das hübsche, kesse Gesicht mit der kleinen, süßen Nase, ihre feurig roten Lippen. Die skandalträchtige Affäre des unerbittlichen Kommissars mit einer der talentiertesten Zauberinnen des Herrscherhauses Lud sorgte damals für erhebliches Aufsehen in der Verborgenen Stadt.
    Susanna kostete die Liaison mit Santiago letztendlich die Karriere. Man drängte sie aus verantwortungsvollen Positionen, verwehrte ihr den Zugang zu geheimen Archiven und niemand verschwendete mehr einen Gedanken daran, dass Susanna durchaus das Zeug zur Priesterin gehabt hätte. Dabei hatten nicht wenige von denen, die sie damals fallenließen, ihr zuvor sogar den Thron prophezeit. Ihr Misstrauen und ihren Hass gegenüber Santiago projizierten die meisten Luden auch auf seine Auserwählte, doch Susanna war das egal. Sie liebte und wurde geliebt. Und das zählte für sie mehr als alles andere.
    Fünfzig Jahre blieben die beiden zusammen.
    Dann ging Susanna. Von einem Tag auf den anderen. Für immer.
    Selbst die verliebteste Frau der Welt würde es nicht ertragen, vor den Augen eines ewig jungen Liebhabers dahinzuwelken.
    Auch an diesen Tag, als Susanna ihn verließ, konnte sich Santiago noch gut erinnern. Er hatte damit gerechnet, dass es früher oder später passieren würde, und diesem Ereignis ohnmächtig entgegengesehen. Solche Tage hatte er schon viele erlebt in seinem langen Leben.
    »Weißt du, Santa«, sagte Susanna leise, »ich bereue absolut nichts. Ich war glücklich mit dir.« Ein Lächeln spielte um ihre Lippen. »Und außerdem: Nicht mal du könntest dich damit brüsten, mehr als ein Leben gehabt zu haben. Ich dagegen hatte drei: das vor dir, das mit dir und das nach dir. Aber das verstehst du sicher nicht.«
    »Ich würde es gern verstehen«, erwiderte Santiago ebenso leise.
    »Lassen wir das, das bringt nichts.« Susanna streichelte dem Nawen zärtlich mit dem Handrücken über die Wange. »Du wolltest mich sehen, Santa. Warum? Es muss etwas Ernstes dahinterstecken, sonst wärest du niemals hergekommen.«
    »Ja, etwas sehr Ernstes«, bestätigte Santiago. »Erinnerst du dich noch an unser Haus, das im Krieg zerstört wurde?«
    »Natürlich erinnere ich mich daran.« Die Zauberin lächelte nostalgisch, als sie sich das kleine Anwesen ins Gedächtnis rief, das Santiago damals in einem idyllischen Waldstück nahe Moskau für sie gebaut hatte. »Es war wundervoll.«
    »Ich hatte dort etliche Unterlagen aufbewahrt.«
    »In der schwarzen Schatulle.«
    »Die du ständig öffnen wolltest, neugierig, wie du warst.«
    »Die ich aber nicht aufgebracht habe«, ergänzte Susanna kichernd.
    »Ich war mir sicher, dass die Schatulle nicht mehr existiert. Du hattest mir erzählt, das Haus sei bis auf die Grundmauern zerstört worden.«
    »Das stimmt auch«, bestätigte die Zauberin. »Als ich auf deinen Wunsch dorthin zurückkehrte, war an der Stelle unseres Hauses nur noch ein Krater. – Was ist denn passiert?«
    »Jemand hat diese Schatulle geöffnet.«
    »Und du hast Schwierigkeiten deswegen?«
    »Ja«, gab der Naw freimütig zu und beobachtete zerstreut einen Käfer, der einen Grashalm hinaufkletterte. »Ist dir damals vielleicht irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen? Irgendetwas Verdächtiges? Besonders in den letzen beiden Wochen vor Kriegsausbruch, als ich kaum mehr zu Hause war.«
    Die Zauberin dachte nach.
    »Eigentlich nicht, obwohl …« Susanna warf den Kopf in den Nacken und blickte sinnierend zum Himmel. »Nicht weit von dort befand sich die Waldklause , eine Einsiedelei.«
    »Die mit den

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