Die Hexe
Geschäfte plündern? Wir wollen wissen, welche Maßnahmen der Dunkle Hof unternimmt, um diesen Terror zu beenden.«
»Warum denn beenden?« In Pater Dynamus’ Miene spiegelte sich abgrundtiefe Verständnislosigkeit. »Wir sollten nichts übers Knie brechen. Das Geschäft geht doch gerade erst los. Verstärken Sie doch einfach die Sicherheitsvorkehrungen! «
»Können Sie sich überhaupt vorstellen, was es kosten würde, unsere sämtlichen Geschäfte entsprechend zu schützen?« Nugar zog einen Notizblock aus der Tasche und kritzelte mit dem Kugelschreiber einige Zahlen darauf. »Das würde für jeden einzelnen Betrieb Investitionskosten von …«
Für solcherlei Berechnungen brauchten die Schatyren keinen Taschenrechner, das mathematische Genie war ihnen angeboren.
»Ach, der Erli hat doch keine Ahnung«, sprang Jurbek dem Kollegen bei. »Der sitzt gemütlich in seiner Eremitage hinter dicken Klostermauern und macht sich keinen Kopf.«
»Ihr Schatyren denkt immer nur ans Geld!«, konterte Pater Dynamus.
»Geld ist nicht alles«, räumte Jurbek ein. »Aber es beruhigt ungemein.«
»Kann ich auch mal was sagen?«, erkundigte sich der kleine Oss und hob zaghaft den Finger. »Ich hätte auch ein Anliegen vorzubringen. Ich und die anderen Kämpfer im Labyrinth, wir haben uns gefragt, warum eigentlich nur die Rothauben die Humos ausrauben. Das könnten wir doch auch. Wir hätten da auch schon eine Idee: Wir stoppen eine U-Bahn und …«
»Kommt nicht infrage!«, donnerte Ortega.
»Von wegen gemütlich hinter dicken Klostermauern«, entrüstete sich der Prior. »Wir arbeiten rund um die Uhr für die Volksgesundheit, und wenn wir mal einen Kredit brauchen für neue medizinische Geräte, dann gibt es gewisse Herrschaften, die dafür astronomische Zinsen verlangen!«
»Wir halten eine U-Bahn an und rauben die Passagiere aus!«
»Irgendwie müssen wir ja Geld verdienen, sonst könnten wir uns die Wucherpreise nicht leisten, die gewisse andere Herrschaften für ein simples Kopfschmerzmittel verlangen.«
»Ihr solltet eben weniger saufen!«
»Ruhe jetzt!« Ortega verlor den Überblick.
»Wir tun den Humos auch gar nichts, wir nehmen ihnen nur ihr Geld ab.«
»Weniger saufen – sehr witzig, am Ende empfiehlst du uns noch, weniger zu altern.«
»Schaut lieber auf die Preise in euren Läden. Da wird es einem schon beim Vorbeigehen schlecht!«
»Aber warum dürfen es die Rothauben und wir nicht?«
»Ruhe!!«
»Wir haben eine minimale Gewinnspanne – da können wir uns so hohe Investitionen in die Sicherheit nicht leisten.«
»Mir kommen die Tränen. Ihr lasst doch die Hälfte eurer Waren von Billiglöhnern in illegalen vietnamesischen Fabriken herstellen und verhökert das Zeug für das Dreifache!«
»Und in eurer Klinik ist die Sterberate höher als im letzten Krieg zwischen den Herrscherhäusern.«
»Nur eine einzige klitzekleine U-Bahn …«
»Schluss jetzt!!!«
Ortega platzte der Kragen. In seiner Hand funkelte plötzlich ein riesiges, gerades Schwert. Der zornige Naw sprang auf und hieb mit voller Wucht auf die Tischplatte ein. Das antike Möbelstück zerbarst krachend und die hohen Gäste verstummten erstaunt.
Jedem anderen Bewohner der Verborgenen Stadt hätte der Wutausbruch des Nawen einen gehörigen Schrecken eingejagt, denn die Herrscher des Dunklen Hofs waren berüchtigt für ihren Jähzorn. Doch sowohl die Schatyren als auch die Erli lebten bereits seit Jahrtausenden Seite an Seite mit den furchterregenden Nawen. Sie waren daran gewöhnt und nahmen es gelassen.
»War ein schöner Tisch«, konstatierte Nugar bedauernd, während er seinen Notizblock wegsteckte. »So was bekommt man heutzutage nicht mehr in der Qualität.«
»Eine echte Antiquität«, bestätigte Jurbek, der fachmännisch eines der Bruchstücke begutachtete. »Massive Eiche, etwa sechshundert Jahre alt. Was meinen Sie, Pater Dynamus?«
»So alt nun auch wieder nicht«, erwiderte der Erli kopfschüttelnd. »Maximal vierhundert Jahre.«
»Einspruch«, beharrte Jurbek Tomba, dem ein bekanntes Antiquitätengeschäft gehörte. »Die Schnitzereien sind im Stil von Lakir Cannabis ausgeführt und dieser Stil ist vor sechshundert Jahren aus der Mode gekommen. «
»Tja, Sie sind der Fachmann, Jurbek.«
»Jedenfalls war es ein sehr wertvoller Tisch«, resümierte Nugar und alle Blicke richteten sich auf Ortega.
Das Schwert in der Hand des Nawen schrumpfte auf die Maße eines Yatagans, dann auf die eines Dolches und verschwand
Weitere Kostenlose Bücher