Die Hexe
hatte der Abgesandte namens Tschuja zu Fuß bewältigt und bat nun schüchtern um die Erlaubnis, sein Volk bei der anstehenden Audienz vertreten zu dürfen. Die Wachen ließen ihn bereitwillig ein, nachdem sie sich davon überzeugt hatten, dass ihm keine Ratten gefolgt waren.
Die Ankömmlinge wurden in einen großen Saal mit spitzbogigen Fenstern geleitet und an einen massiven, geschnitzten Tisch gebeten. Die Rolle des Gastgebers übernahm Ortega, den die Führung des Herrscherhauses dazu verdonnert hatte, den unliebsamen Termin an ihrer statt wahrzunehmen. Und dieser Umstand war auch gleich der erste Ansatzpunkt für Kritik.
»Wieso werden wir eigentlich nicht vom Fürsten empfangen?«, monierte Jurbek. »Oder wenigstens von den Ratsherren?«
»Oder von Santiago«, warf Pater Dynamus ein und auf seinem Gesicht erschien ein spitzbübisches Grinsen. »Doch wie man hört, ist der hochverehrte Herr Kommissar wegen kleinerer juristischer Schwierigkeiten vorübergehend abgetaucht.«
»Es tut mir leid«, seufzte Ortega, »aber der Fürst und die höchsten Magier sind im Augenblick sehr beschäftigt. «
»Ich will schwer hoffen, dass sie mit unseren Problemen beschäftigt sind«, stichelte Jurbek.
»Spielt doch keine Rolle«, wiegelte Nugar ab. »Wenn sie sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern, heißt das, dass die jüngsten Ereignisse so bedrohlich nicht sein können. Wenn sie dagegen mit der Krise befasst sind, wird sie auch bald vorüber sein. Beides wäre in unserem Sinne.«
»Apropos Krise«, schaltete sich Pater Dynamus ein. »Ich möchte meine Freude mit Ihnen teilen. Die Moskauer Eremitage verzeichnet derzeit einen erheblichen Patientenzuwachs und ich gehe davon aus, dass auch die Nachfrage nach Kriegsartefakten gestiegen ist. Die Krise wirkt sich also durchaus belebend auf unsere Geschäfte aus und deshalb würde ich gern wissen, welche Schritte der Dunkle Hof zu unternehmen gedenkt, um diese positive Entwicklung weiter zu fördern. Wie wäre es zum Beispiel, einen Krieg zwischen den Herrscherhäusern ins Auge zu fassen? Wir müssten uns auf ein solches Szenario natürlich vorbereiten, neue Krankenstationen einrichten und vielleicht das ein oder andere Feldlazarett bereitstellen.«
Ortega wollte gerade zu einer empörten Replik ansetzen, doch Jurbek kam ihm zuvor.
»Die Ausführungen des verehrten Pater Dynamus haben tatsächlich einen wahren Kern: Schutz- und Kriegsartefakte sind derzeit sehr gefragt …«
»Und Sie haben natürlich unverzüglich die Preise um fünfzig Prozent erhöht!«, schimpfte der Prior.
»Der Preis wird von Angebot und Nachfrage geregelt«, rechtfertigte sich Nugar. »Und überhaupt: Ich mache Ihnen schließlich auch keine Vorschriften, wie Sie Ihre Einläufe zu machen haben.«
»Einläufe machen wir schon seit fünftausend Jahren nicht mehr.«
»Sie werden es doch nicht verlernt haben?«, ätzte Nugar.
»Wir leisten qualifizierte medizinische Hilfe – das ist ein Gebot der Moral«, dozierte Pater Dynamus salbungsvoll. »Sie dagegen schlagen schamlos Profit aus der Angst verschreckter Bürger.«
»Sie und Moral! Dass ich nicht lache!«
»Meine Herren!«, intervenierte Ortega. »Lassen wir doch den ehrenwerten Jurbek seinen Gedanken zu Ende führen.«
Nugar und Pater Dynamus verstummten.
»Wenn wir schon über die Vorzüge der Krise sprechen«, setzte Jurbek an Dynamus gewandt fort, »dann dürfen wir auch über ihre Nachteile nicht hinwegsehen. Ich erinnere hier nur an den verheerenden Überfall der Humos auf Burchans Schatztruhe , das beste Artefaktgeschäft der Verborgenen Stadt. Der alte Burchan ist ruiniert! Er sitzt auf einem Haufen Asche und rauft sich die Haare!«
»Soweit ich mich erinnere, ging dort gerade mal eine Schaufensterscheibe zu Bruch«, erwiderte Ortega überrascht. »Und na ja, der Verkaufsraum wurde ein wenig in Mitleidenschaft gezogen …«
»Das ist – mit Verlaub – eine beschönigende Darstellung«, ereiferte sich Jurbek. »Der Laden bietet ein Bild der Zerstörung und der finanzielle Schaden ist immens. «
»Den bezahlt doch sowieso die Versicherung«, winkte Pater Dynamus ab. »Wenn einer sich die Haare rauft, dann die Versicherungsfritzen.«
»Dennoch ist der Überfall auf Burchan ein Beispiel für die Schattenseiten der jüngsten Entwicklung«, konstatierte Jurbek betont sachlich. »Diese Krise ist unkalkulierbar, weil sie außer Kontrolle geraten ist! Wie lange sollen wir noch dabei zusehen, wie gewaltbereite Humos unsere
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