Die Hexe
nach links, mal nach rechts, je nachdem, wie die Frau im Vordergrund sich bewegte, doch was sich auf dem Bürgersteig abspielte, konnte man stets gut verfolgen. Der schwergewichtige Bandit stieg aus seiner Limousine aus, blinzelte kurz in die Herbstsonne und gab dann mit mürrischer Miene Anweisungen an einen seiner Leibwächter. Daraufhin gingen die Bodyguards auf den alten Mann zu.
»Was nun folgt, werden Sie so schnell nicht wieder vergessen, meine Damen und Herren.«
Kaum hatte der erste Bodyguard den weißhaarigen Passanten erreicht, überschlugen sich die Ereignisse. Der alte Mann räumte den hünenhaften Leibwächter mit einem blitzartigen Tritt aus dem Weg und stand dann plötzlich vor Waliko Garadse. Wie er so schnell dort hingekommen war, hatte die Kamera nicht festgehalten. Jean-Louis Pleau war inzwischen auf das Geschehen aufmerksam geworden und zoomte den Ausschnitt mit dem Mercedes näher heran. Doch als das Bild näher kam, hatte der alte Mann sein Werk bereits vollendet. Waliko sank mit aufgeschlitztem Bauch zu Boden und seine Leibwächter schauten entgeistert dabei zu.
»Nun folgt der interessanteste Moment!«
Das Bild des grauhaarigen Mörders verschwamm plötzlich, und als es wieder scharf wurde, befand sich an der Stelle des buckligen Greises ein kräftiger, schwarzhaariger Mann in einem schwarzen Overall! Und dieser Mann hatte vier Arme!
»Das ist keine Montage, meine Damen und Herren! Es ist keine Montage!!«
Als der Mörder bemerkt hatte, dass seine Maske gefallen war, handelte er blitzschnell. Viel zu schnell für einen Menschen.
Doch der französische Tourist filmte unverdrossen weiter und die Fernsehzuschauer konnten den Vierarmigen noch ein paar Augenblicke beobachten. Zuerst streckte er den nächsten Bodyguard mit einem Kinnhaken nieder und sprang dann mit einem gewaltigen Satz über den Mercedes des getöteten Banditen. Er landete auf der Motorhaube eines im Stau stehenden 4er Ladas, rannte sofort weiter und verschwand in der Autoschlange.
»Leider konnte die Kamera den Mörder nicht weiter verfolgen«, resümierte der Moderator, »aber das, was wir gesehen haben, ist ja wohl erstaunlich genug.«
Kornilow schaltete den Ton ab, schüttelte den Kopf und zündete sich eine Zigarette an, während der Moderator am Bildschirm tonlos vor sich hinplapperte und dabei sehr albern aussah.
Dem Major war klar, dass zwischen der Tragödie in der Schaukel , den Überfällen der Skinheads und dem rätselhaften Überfall auf die Sparbank ein Zusammenhang bestand, und er hatte damit gerechnet, dass weitere Taten folgen würden, doch der Mord an Waliko Garadse war auch für ihn eine Überraschung.
Offenbar hatte sich derjenige, der hinter alledem steckte, vorgenommen, jeden gegen jeden aufzuhetzen: die Polizeibehörden, die Herrscherhäuser, normale Bürger und nun auch noch Kriminelle. Das Bild fügte sich zu einer hochkomplexen Intrige, die von dem unbekannten Strippenzieher geradezu virtuos gesponnen wurde. Doch worauf wollte dieser Intrigant hinaus? Was war sein Ziel? Die Vernichtung der Verborgenen Stadt? Angesichts der laufenden Pressekampagne sah es ganz danach aus. Es konnte kein Zufall sein, dass die Bilder von Monstern, Vierarmigen und aus dem Nichts auftauchenden Bankräubern jedes Mal zielsicher beim Fernsehen landeten. Der Plan war plausibel: Die verschreckten Bürger verlangen von den Behörden ein entschlossenes Handeln, die Polizei ermittelt und stößt auf die Verborgene Stadt, die Nachricht verbreitet sich wie ein Lauffeuer und dann beginnt die Hexenjagd. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Andrej drückte seine Zigarette aus und zündete sich sofort eine neue an.
Die Theorie klang nicht schlecht, doch sie hatte auch Schwächen. Denn die Verborgene Stadt war ja nun beileibe nicht wehrlos. Sie verfügte über die Macht der Magie und praktisch unbegrenzte finanzielle Ressourcen. Außerdem war damit zu rechnen, dass die Herrscherhäuser sich angesichts der Bedrohung von außen zu einem gemeinsamen Vorgehen durchringen würden.
Gewiss suchten die Kriegsmagier der Verborgenen Stadt bereits fieberhaft nach Erklärungen für die entlarvenden Geschehnisse. Anfangs hatte der unbekannte Intrigant noch den Überraschungseffekt auf seiner Seite, doch nun waren die Humanoiden am Zug und was sie zu tun hatten, war klar: weitere Provokationen verhindern, die Wogen bei den Humos glätten, und demjenigen das Handwerk legen, der das Schlamassel angerichtet hatte.
Ging man von der Hypothese aus,
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