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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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abzählte. »Es sind Computer, keine Magier.«
    Ehrfürchtiges Staunen lag in Lucians Blick, als er die Stufen der Nationalbibliothek hinaufstieg. Das Gebäude mit der grünen Kuppel empfing seine Gäste durch mehrere Eingänge aus buntem Glas. Unter den Wolken, die mittlerweile am Himmel aufzogen, sah das Bauwerk noch imposanter aus. Die Bibliothek erstreckte sich über einen ganzen Straßenzug und war mit Säulen, Figuren und Reliefs verziert. Die Eingangshalle war klimatisiert und von Gemurmel erfüllt wie der Ratssaal einer Burg.
    »So, jetzt müssen wir nur noch herausfinden, ob sie da ist«, murmelte Ravenna und steuerte auf das Infodesk zu. Ehe sie sichs versah, sank Lucian jedoch vor der erstbesten Person, die seinen Weg kreuzte, auf die Knie. »Edle Dame, könnt Ihr uns sagen, wo wir Yvonne von Ottrott finden?«, fragte er. »Sie ist die Schwester meiner Herrin und wir wünschen sie in einer dringlichen Angelegenheit zu sprechen.«
    Die junge Anwältin in Kostüm und Bluse ließ beinahe den Gesetzestext fallen, den sie unter dem Arm trug. Sie starrte den Ritter an, als hätte er ihr einen unsittlichen Antrag gemacht.
    Ravenna wurde dunkelrot und verpasste Lucian mit dem Knie einen Stoß in die Rippen. »Sein Schuhbändel ist aufgegangen«, murmelte sie, an die Anwältin gewandt, während er sich aufrappelte.
    »Bitte gewöhne dir diese Verbeugungen ganz schnell ab«, flüsterte sie ihm zu, als sie durch die Halle eilten. Die junge Frau hatte die Brille abgenommen und starrte ihnen nach. »Und das Reden überlässt du besser mir, sonst kommt etwas dabei heraus, das du gar nicht sagen wolltest.«
    »Was habe ich denn gesagt?«, fragte Lucian und wirkte zum ersten Mal an diesem Tag beleidigt.
    »Ich bin nicht deine Herrin«, stieß Ravenna hervor und merkte, wie sie schon wieder rot wurde. »Wir sind Freunde, okay? Einfach nur Freunde.«
    »Wir sind mehr als Freunde«, widersprach Lucian. »Ich liebe Euch. Ihr habt mein Schwert geweiht. Und Ihr habt mich überredet, Constantin zu hintergehen und mit Euch nach Straßburg zu reiten. Nicht einmal für einen Freund würde ich meinen König verraten.«
    Ravenna blieb stehen. »In Ordnung, wir sind mehr als Freunde. Wir sind zusammen hinter dem Teufel her. Und ich liebe dich auch.« Jetzt hatte sie es ausgesprochen. Nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, sollten ihr diese Worte eigentlich leicht über die Lippen gehen, und trotzdem drohte ihr Herz fast zu zerspringen.
    Lucian sah sie an. Dann nahm er ihr Gesicht zwischen die Hände und küsste sie. In diesem Augenblick vergaß sie alles, was sich rings um sie abspielte: die lautlos auf und ab gleitenden Aufzüge, den Strom der Besucher und die ersten, dicken Regentropfen, die Striche auf die Scheiben malten. Wenn Lucian sie in den Armen hielt, lebte sie so intensiv wie nie zuvor.
    »Ravenna.« Sie schlug die Augen auf, als er ihr ihren Namen ins Ohr flüsterte. Wenn es nach ihr ging, bräuchte dieser Nachmittag nie zu enden. »Ihr wolltet Eure Schwester besuchen«, erinnerte er sie mit einem spitzbübischen Grinsen. »Oder habt Ihr das etwa vergessen? Mir scheint, es wird langsam Zeit.« Er nickte in die Halle hinunter. Immer mehr Menschen strebten den Ausgängen zu und verließen das Gebäude.
    Ravenna nickte. »Freitags schließt die Bibliothek immer etwas früher. Aber keine Sorge: Meine Schwester arbeitet hier. Und das bedeutet, dass sie Zugang zu Abteilungen hat, die das normale Publikum nicht betreten darf.«
    Sie zog Lucian zu einem Lift. Lautlos glitten die Glastüren auf. Als er einstieg, hielt er misstrauisch nach dem unsichtbaren Pagen Ausschau, der die Türen bediente. »Achtung, jetzt geht es nach oben«, warnte Ravenna. Sie behielt ihn im Auge, als sie auf den Knopf drückte und der Lift zu schweben begann, aber er stand ganz ruhig da und hielt sich am Handlauf fest.
    »In diesen Hallen muss ein Hochkönig wohnen«, stellte er fest. »Überall Marmor, edle Hölzer und spiegelglatte Böden. Und Magie. Constantins Burg ist eine schimmlige Scheune verglichen mit dieser Pracht.«
    »Hier wohnt niemand. Es ist eine Bibliothek«, meinte Ravenna. »Wieso hast du eigentlich keine Angst? Du bist noch nie im Leben Lift gefahren. Bis gestern wusstest du nicht einmal, dass es eines Tages Aufzüge geben wird. Ich dagegen bin mit diesen Dingern groß geworden, aber ich mag sie nicht besonders.«
    Lucian lächelte. »Ich war schon als Kind sehr neugierig. Mein Vater bestrafte mich oft, weil ich durch die

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