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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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zurück. Es war nicht gut, das sah sie ein, aber sie konnte nichts gegen die Beklemmung tun, die sie überfiel, wenn sie fremden Leuten begegnete.
    Damals, in der dunklen Wohnung, hatte sie begriffen, wie sich Todesangst anfühlte. Der Einbrecher hatte ihr ein Messer an die Kehle gehalten und ihr befohlen, Dinge zu tun, für die sie sich noch immer schämte. Dinge, die sie weder Yvonne noch Kommissar Gress erzählt hatte. Sie hatte gehorcht und alle seine Befehle ausgeführt, ohne sicher zu sein, dass er sie wirklich am Leben ließ.
    Gab es jemals wieder Sicherheit, wenn ein Verbrecher bis in ihre Küche drang? Bislang hatte die Polizei keine Spur des Täters gefunden. Der Kerl lief noch immer frei herum. Vielleicht begegnete sie ihm jeden Tag auf dem Weg zur Arbeit und erkannte ihn nicht. Vielleicht grüßte er sie frech von der anderen Straßenseite und lachte ihr ins Gesicht, während sie nicht wusste, wer er war.
    Mit einem hässlichen Geräusch rutschte der Draht ab und schnitt ihr in die Finger. Ravenna fluchte, als sie erkannte, dass sie noch einmal von vorne beginnen musste, um die bröckeligen Figuren zu sichern. Als die Turmglocken elf Uhr schlugen, machte sie eine Pause. Sie stand auf, wischte sich den Staub von den Händen und lehnte sich gegen das Geländer des Gerüsts. Dann schraubte sie die Thermoskanne auf und trank in langsamen Schlucken ihren Tee. Die Wärme tat ihr gut. Das Wetter hatte sich verschlechtert. Nun regnete es in Strömen und auf der Place de la Cathédrale war niemand mehr zu sehen. Alle Passanten hatten sich in ihre Hotels, Büros oder in die Gasthäuser zurückgezogen. Unter den Planen des Gerüsts war Ravenna notdürftig vor dem Regen geschützt, aber nicht vor dem kalten Wind, der von Westen kam.
    Nachdenklich betrachtete sie die Figuren, die vor ihr auf Podesten standen. Der Fürst hielt einen Apfel in die Höhe, das Zeichen der Verführung, und lächelte den Jungfrauen in seinem Gefolge zu. Sie ließen sich von ihm verlocken, sie folgten ihm, ohne zu erkennen, wer er wirklich war. Denn der Teufel trug einen Blumenkranz im Haar und stellte ein hübsches Lächeln zur Schau, aber unter dem Mantel verbarg sich sein wahres Wesen: Schlangen, Kröten und Würmer krochen ihm über den Rücken, die Vorboten der Hölle.
    Prüfend strich Ravenna über den steinernen Apfel in der Hand der Skulptur. Er besaß eine angefaulte Stelle, vom Bildhauer liebevoll gestaltet. Allerdings war das Detail kaum noch zu erkennen, es war schwarz von Ruß und Taubendreck und glich eher einem aufgeweichten Lehmklumpen.
    Plötzlich wankte sie und griff nach dem Geländer hinter sich. Von dem steinernen Apfel schoss ein stechender Schmerz in ihre Hand und jagte in den Arm hinauf, und die Kathedrale erzitterte wie bei einem Erdbeben. Ein Beben war unter ihren Füßen zu spüren und das Metallgerüst wackelte mit einem scheppernden Geräusch. Wolken rasten im Zeitraffer über den Himmel und es wurde finster und wieder hell. Sonnenuntergang und Morgengrauen dauerten nur Sekunden.
    Dann war alles wieder ruhig.
    Ravennas Knie zitterten. Sie stellte fest, dass sie auf allen vieren auf den durchweichten Bohlen kniete. Ihr Herz raste. Dann fiel ihr Blick durch einen Spalt im Gerüst. Etwas hatte sich verändert. Der Platz vor dem Hauptportal der Kirche war nicht mehr derselbe wie eben noch. Die gelben Markisen waren verschwunden. Stattdessen sah sie Marktstände und Eselkarren, das Pflaster war mit Stroh und Pferdemist bedeckt. Lauthals priesen die Händler ihre Waren an und klangen dabei genauso wie der romantisch veranlagte Medizinstudent auf seinen historischen Führungen. In den Gebäuden befanden sich nun andere Geschäfte als noch vor wenigen Augenblicken. An den Schildern erkannte Ravenna eine Goldschmiede, einen Bortenmacherladen und eine fein aufgemachte Schneiderei. Auch die Spaziergänger, die den Platz nun wieder bevölkerten, sahen anders aus: Sie bemerkte eine Vielzahl an weißen Hauben, Schleiern und mit Federn geschmückten Kappen, als fände dort unten ein Kostümfest statt. Jemand führte ein großes, schwarzes Pferd durch die Rue Mercière.
    Steh auf!, ermahnte sie sich, während sie tastend nach dem Fäustel suchte, der aus der Schlaufe an ihrem Gürtel gerutscht war. Reiß dich zusammen! Das geht gleich vorbei.
    Noch nie hatte sie ihre Wahnvorstellungen so bewusst erlebt. Ihr Gehirn gaukelte ihr eine völlig fremde Wirklichkeit vor, ihre eigenen Sinne führten sie in die Irre. Als sie sich zu der

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