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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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halten und zu beschützen, und zugleich wusste sie, dass eine mächtige Zauberin vor ihr stand. Es waren Lucians Gefühle, die sie teilte. Sie spürte seine Liebe zu Maeve und sie war so wahrhaftig und stark, dass es ihr in dem breiten Bett auf dem Odilienberg Tränen der Eifersucht in die Augen trieb.
    Das Mädchen wandte den Blick nicht von Lucian ab. Ihre Augen waren hell wie Muschelschalen und sie trug eine Kette aus Seesternen, Glasperlen und Möwenfedern um den Hals. Ihr Talent war naturgegeben und die Ausbildung im Konvent hatte sie zu einer großen Hexe gemacht. Maeve öffnete die Lippen und stellte die Frage, die auch Ravenna an Lucian gerichtet hatte, die Frage, ob er ihr Gefährte werden wolle. Dann streckte sie die Hand nach dem Schwert aus, das auf dem Maistein lag.
    Im selben Augenblick verdichtete sich die Luft neben dem Stein, und Ravenna glaubte, eine Luftspiegelung zu erkennen, jenes Flimmern, das sich in der Gruft um Oriana gebildet hatte. Sie schrie auf, als Velasco förmlich aus dem Nichts erschien. Denn bis auf die Frisur sah er Lucian zum Verwechseln ähnlich. Er hatte breite Schultern, war vollständig in Leder gehüllt und trug das Haar raspelkurz. Ein dünner Bart säumte das Kinn und lief in einem Strich bis zur Unterlippe. Die Augen waren dieselben wie Lucians, doch in Velascos Blick lag eine eisige Kälte.
    »Du willst dein Schwert einer Hexe weihen, mein Sohn?«, stieß die Erscheinung hervor. Die Stimme erklang so verzerrt, wie der Körper erschien. »Nur über meine Leiche – oder über ihre.«
    Ravenna spürte, wie sich ihr Körper verkrampfte, als Lucian vorwärts hechtete, um an das Schwert zu gelangen, das auf dem Stein lag.
    Aus den Augenwinkeln sah sie, wie die anderen Ritter die Klingen aus den Scheiden rissen.
    Maeve hob blitzschnell die Arme und formte einen Zauber, einen gewaltigen Bann, der Velasco gewiss bis an den Fuß der Berge geschleudert hätte. Doch der Hexer war schneller.
    Er schwang sein Schwert empor und hieb der jungen Frau die Klinge in den Kopf. Ein weißes Licht glühte auf dem Stahl, das einen Herzschlag lang alles andere überstrahlte. Ravenna stöhnte. Sie hörte den Aufschrei der Menge, sah wie Maeve die Augen verdrehte und zu Boden sank, obwohl Lucian sie festzuhalten versuchte. Er schrie.
    Im nächsten Augenblick fuhren sechs Klingen durch Velascos Rücken, kreuzten sich im Herzen und traten wie ein Stern an der Brust aus. Der Hexer lachte, als die Gefährten der Sieben sofort kampfbereit zurücksprangen. Die Luft über seiner Gestalt flimmerte so stark, dass sich seine Züge verzerrten. Dann löste sich seine Gestalt in Rauch auf.
    Maeve lag neben dem Maistein und regte sich nicht mehr.
    Ravenna kauerte in einer Ecke des Zimmers. Die schwarze Perle war von ihr fortgerollt und sie zitterte vor Entsetzen. Offenbar hatte sie sich in der Trance so bewegt, wie sie es im Traum sah: Sie war aufgesprungen, als Lucian aufsprang, hatte nach dem unerreichbaren Schwert gegriffen und war neben der Leiche des Mädchens zusammengebrochen.
    Lucian kniete neben ihr und versuchte, sie zu beruhigen. In verblassenden Bildern erlebte Ravenna noch, wie Malaury und die anderen Ritter Lucians Finger mit Gewalt von Maeves starren Händen lösten. Dann erst brachten sie ihn und das tote Mädchen zurück in die Burg.
    An dieser Stelle brach die Erinnerung ab. Ravenna hatte nicht gewusst, wie entsetzlich leer sich ein solcher Verlust anfühlte, wie schrecklich sinnlos der Tod der jungen Magierin war. Lucian zerrte die Decke vom Bett und wickelte sie darin ein. Erst dann war sie in der Lage, aufzustehen und ihm bis zu der Schlafstätte zu folgen. Er ließ sie Platz nehmen und setzte sich neben sie. Der erbitterte Zug zeigte sich wieder um seinen Mund, doch Ravenna wusste nun, dass er hinter der Härte, die er manchmal an den Tag legte, schreckliche Erinnerungen verbarg. Schock, Schuld und Trauer, ein Meer von Tränen, eingeschlossen in einer schwarzen Perle.
    »Das war das letzte Mal, dass ich meinen Vater sah«, stieß er hervor. »Hätte Constantin ihn doch nur verbrannt, als noch Gelegenheit dazu war! Dafür werde ich es tun, falls ich ihm je wieder begegne.«
    Mit unbewegtem Gesicht hob er die Perle auf und verstaute sie in der Tasche am Schwertgurt.
    »Neveres Gabe macht die Vergangenheit für mich erträglich«, erklärte er. »In den ersten Wochen sah ich immer nur diese Bilder und träumte jede Nacht von dem Mord. Es hätte fast meinen Geist zerrüttet. Seit die

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