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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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in Angst vor ihm: meine Mutter, meine Schwestern und das Gesinde. Auch ich zitterte, wenn Velasco nur das Zimmer betrat. Ich war damals ein kleiner Junge. Wäre ich ein Mann gewesen, hätte ich mich ihm in den Weg gestellt.«
    Ravenna sog den Atem ein. Als sie die wilde Entschlossenheit in Lucians Gesichtsz ügen sah, begriff sie, dass er in jedem Gegner nur einen Feind bekämpfte: seinen Vater.
    »Eines Tages traf einer von Constantins Barden an unserem Hof ein. Er sang und spielte Harfe und seine Lieder erzählten von den abenteuerlichen Fahrten der Ritter, von verzauberten Wäldern und von Wüsten, die unter der Sonne glühen. Da beschloss ich, dass ich einer dieser Krieger werden wollte, einer der Sieben Gefährten, die die Magierinnen beschützen und begleiten.« Lucian lehnte in den Kissen und lächelte. »Ich war damals acht Jahre alt und hatte keine Vorstellung, wovon ich schwärmte. Als das Festbankett vorüber war, schlich ich mich in Malaurys Kammer und bat ihn, mich mitzunehmen, sobald er abreiste.«
    Ravenna riss die Augen auf. »Malaury? Er war der Barde?« Es fiel ihr schwer, sich Viviales verstorbenen Gefährten als jungen Harfenspieler und Geschichtenerzähler vorzustellen.
    Lucians Lächeln wurde breiter. »Das war er. Und er war nur aus einem Grund gekommen: Um Velasco zur Rede zu stellen und um herauszufinden, wie es um mich stand. Ich war der einzige Sohn des Burgherrn und sein ältestes Kind. Sein Erbe.«
    »Was hat Malaury geantwortet, als du bei ihm im Zimmer standest?« Ravenna schmunzelte, als sie sich den Anblick vorstellte: Lucian als ernster, kleiner Junge, dessen Nachtgewand über den Boden schleifte, und der wortgewandte, weit gereiste Barde, der mit dem Schwert genauso umzugehen verstand wie mit der Harfe.
    »Er versprach, dass ich ihn begleiten dürfe«, erklärte Lucian. »Offensichtlich hat er meine Lage sofort erkannt. Als er meinem Vater das Vorhaben eröffnete, geriet dieser in Rage. Er ließ Malaury mit dem Gesicht nach hinten auf einen Esel binden und jagte das Tier durch die Schlucht. Ich glaube, er legte es darauf an, dass sich sein Gast den Hals brach. Als der Barde verschwunden war, packte Velasco mich am Arm und schleifte mich in das finsterste, dunkelste Gewölbe der Burg. Dort gab es einen Raum …« Er verstummte. Das Zittern kehrte zurück und Ravenna bekam eine Gänsehaut. Leise fuhr Lucian fort. »Erinnert Ihr Euch an unser Gespräch, bei dem ich Euch vom Herrn der Ratten erzählte? Ein solcher Raum war das. Überall Blut, Gebeine, Ungeziefer … und der Gestank des Dämons hing schwer in der Luft. Ich war zwar noch ein Kind, doch ich begriff sogleich, dass mein Vater seine Macht von diesem Opferstein bezog. Von dem, was dort geschah.«
    Ravenna schluckte und verschränkte die Finger fest ineinander. Ja, sie wusste, von was für einer Art Raum Lucian sprach. Sie hatte selbst einen derartigen Opferstein gesehen und das Blut gerochen: in der Gruft, die sich im Garten der Villa befand.
    »Was geschah dann?«, flüsterte sie. In Gedanken befand sie sich noch immer bei dem Jungen und seinem Vater in dem unterirdischen Gewölbe.
    »Velasco verprügelte mich und schrie, wie ich es wagen könne, Malaury um einen solchen Gefallen zu bitten. Dies hier sei der Weg, der mir vorherbestimmt sei. Ich sollte die Kunst der Schwarzen Hexerei erlernen und mir durch Opferungen die Macht des magischen Stroms aneignen, genau wie er es tat.«
    »Aber warum? Ich meine … ich dachte, er würde im Auftrag von Constantin herrschen.« Ravenna wurde rot. »Ich glaube kaum, dass der König seine Vasallen schlecht entlohnt.«
    Lucian rieb sich über das Gesicht. »Ich weiß es nicht«, stieß er hervor. »Das ist das Schlimmste an Schwarzer Magie: Ich weiß bis heute nicht, was meinen Vater dazu trieb, nach dieser Macht zu streben. Er hatte alles, was ein Mann sich wünschen kann. Er hätte es nur zu genießen brauchen. Stattdessen zerrte er Hunde, Schafe und Kälber in diesen Raum und stach sie ab. Vielleicht waren auch Gefangene darunter, die ihm in der Grenzregion in die Hände fielen. Ich weiß es nicht und ich will es auch nicht wissen. An Malaury wagte er sich jedoch nicht zu vergreifen, weil dieser den Ring des Königs trug.«
    Ravenna nickte. Lucian hatte, als er sprach, seine Hand berührt. Dort trug er den Ring mit dem Hexensiegel, das Zeichen, dass er zu Constantins Rittern gehörte. »Es war sein Pech«, fügte er grimmig hinzu. »Denn Malaury kehrte zurück, aber diesmal war er nicht

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