Die Hexenadvokatin
ist, auch gegen eine Feindin eine gerechte Verhandlung durchzuziehen.«
»Und was habe ich davon?«, brummte die Gräfin missmutig.
»Möglicherweise ergeht an Euch der Ruf einer bedeutenden Universität in Italien oder Frankreich. Die Sorbonne in Paris wäre nicht zu verachten, oder? Nach einiger Zeit im Ausland fiele es Euch zudem leichter als hier in Bayern, wo Ihr viel zu bekannt seid, klammheimlich in Eure wahre Identität zurückzuschlüpfen und mit Eurem Ehemann ein normales Leben in Lucca oder sonstwo auf Erden zu führen. Denn das ist es doch, wonach Ihr Euch in Eurem innersten Herzen sehnt. Ist es nicht so - Gräfin?«
Urplötzlich brach Alberta in Tränen aus. Für den Pater war dies Antwort genug. Mitleidig drückte er seinem Schützling
die Hand - für Alberta das Zeichen, den sentimentalen und verräterischen Impuls sofort zu unterdrücken und sich mit einem Tuch verstohlen über die nassen Augen zu wischen. Jahrelang hatte sie schließlich gelernt, ihre Gefühle in jeder Lage kontrollieren zu können.
»Ja, meine Sehnsüchte gehen in der Tat in eine ganz andere Richtung, Pater«, gab sie leise zur Antwort, als sie sich wieder ein wenig gefangen hatte. »Nichts wünsche ich mir weniger als mein augenblickliches Leben und diesen verfluchten Prozess noch dazu«, brach es aus der Unglücklichen hervor. »Was tue ich überhaupt noch hier in München? Weshalb bin ich nicht längst in Lucca bei meinem Geliebten?«
»Weil Ihr Verantwortungsgefühl habt! Ich kenne Euch gut, Alberta. Ihr bringt es nicht über Euch, Bayern zu verlassen, ehe Ihr nicht die Euch vom Herzog übertragene Aufgabe - die Erstellung des neuen Gesetzbuches - erfüllt habt.
Außerdem wollt Ihr einigermaßen sicher sein, dass die Sanktionen des Herzogs gegen Euren Vater und gegen Eure gesamte Familie nicht allzu hart ausfallen. Ich traue Euch zu, lieber auf die Erfüllung Eures Herzenswunsches zu verzichten, als zuzulassen, dass man die Sippe derer zu Mangfall-Pechstein auf Dauer ächtet.«
»Ihr mögt ja Recht haben, Pater. Aber gereicht es mir etwa zum Vorteil, dass ich so gewissenhaft bin?« Alberta war entmutigt und verzweifelt über die heikle Situation, in die sie sich schon wieder manövriert hatte. »Einen abscheulichen Hexenprozess habe ich am Hals, den ich wahrscheinlich nervlich gar nicht durchstehen kann.«
»Oh, das könnt Ihr gewiss, meine Liebe; da habe ich keine Bedenken. Außerdem werde ich Euch nach Kräften unterstützen - dessen dürft Ihr versichert sein. Auch Euer Vater wird dieses Mal alle Register ziehen, um Euch im Kampf gegen
die Sippe derer von Heilbrunn-Seligenthal und andere feindlich gesinnte Familien nicht im Stich zu lassen. Denn es ist davon auszugehen, dass Ihr leider einen beträchtlichen Teil des bayerischen Adels insgeheim und offen gegen Euch haben werdet.
Selbst wenn sich viele nicht getrauen, öffentlich gegen den Herzog Stellung zu beziehen, werdet Ihr es in nächster Zukunft nicht leicht haben.«
»Mir graut inzwischen vor jedem Hexenprozess, Pater, weil ich nicht mehr an Hexen glaube«, drängte es Alberta noch, ihre Sorgen und ihren Abscheu näher auszuführen. »Jeder dieser Prozesse ist ein Wahnsinn! Wenn ich mir vorstelle, man würde mich der Folter unterziehen: Ich gäbe buchstäblich alles zu, was man mir vorsagte, nur um in Ruhe gelassen zu werden. Was die Justiz seit Jahrhunderten diesen unglücklichen Menschen im Namen Gottes und der Kirche antut, ist schlichtweg ungeheuerlich!
Jeden Tag habe ich darum gebetet, kein solches Verfahren mehr durchführen zu müssen und speziell dieses widerstrebt mir ganz besonders.«
»Das spricht nicht gegen Euch, Alberta. Ich bin auch der Ansicht, das Fräulein von Heilbrunn gehörte eher in die Hand eines Arztes, der sich auf Nervenleiden spezialisiert hat, als auf eine Anklagebank. Aber leider habe ich nicht darüber zu befinden.«
KAPITEL 47
5. März 1612, im Falkenturm
»ES GEHT DEM Fräulein gar nicht gut, obwohl ich mir wirklich alle Mühe geb’«, versicherte die Frau des Kerkermeisters. »Ich frag’ jeden Tag, was das gnädige Fräulein essen möcht’, aber meistens krieg’ ich gar keine Antwort«, beschwerte sich die im Geiste ein wenig schlichte, aber nichtsdestoweniger herzensgute Ehefrau Hans Bürglers.
Sie führte Alberta mit zwei Beisitzern und einem Schreiber in ihre gute Stube im zweiten Stockwerk des Falkenturms, wo der Kerkermeister mit seiner Familie ein paar kleine Kammern bewohnte.
Seit die Justizbehörde
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