Die Hexenadvokatin
Richter jedoch eine zweite Folterung einfach als eine Fortführung der ersten dar. Eine unsagbar grausame Praxis, die Alberta inzwischen aus tiefstem Herzen verachtete.
»Man muss schon studierter Jurist sein und dazu mit einer gehörigen Portion Blindheit geschlagen, um heutzutage diese Art von Menschenverachtung zu rechtfertigen«, hatte Alberta bereits im Vorfeld des Prozesses Pater Winfried gegenüber geäußert.
Nun saß sie kurz vor Prozessbeginn in einer kleinen Kammer des Turms und studierte noch einmal die Akten zum Fall Constanze von Heilbrunn-Seligenthal; ihren wachsenden Unmut ließ Alberta dabei an den Papieren aus, indem sie diese so rüde umblätterte, dass die Seiten nicht nur verknittert aussahen, sondern einige dabei sogar einrissen.
Bei der gütlichen wie der »peinlichen« Befragung stellten die Kommissare den Verdächtigen routinemäßig immer dieselben Suggestivfragen. Meistens bezogen sich diese auf das Wettermachen, das Töten von Tieren durch eine giftige Salbe oder durch Besprechen mit schädlichen Zauberformeln, das Töten und Sieden von Säuglingen zum Zwecke der Bereitung einer Hexensalbe, den sexuellen Verkehr mit Dämonen und die nächtlichen Hexenfahrten auf Besen oder Heugabeln zum Hexentanzplatz, wo unglaubliche Orgien stattfinden sollten …
Hauptanklagepunkt war allerdings der vermeintliche Pakt mit dem Satan, verbunden mit der Abkehr vom wahren Glauben an Jesus Christus, die Heiligen und die katholische Kirche. Sämtliche Fragen, die gütlichen wie die peinlichen, wurden vom Obersten Kommissar - im Volk »Richter« genannt - im Beisein der Beisitzer, eines Geistlichen (falls die Hexe bereute und ihre Verfehlungen beichten wollte), des Gerichtsschreibers sowie des Foltermeisters und seiner Gehilfen gestellt.
Letzterer war in München immer noch der »Eisenhans« Hans Bürgler, der über Umfang und Hergang der Torturen bestimmte. Seinem Ermessen blieb es überlassen, welches Maß an körperlichen Schmerzen er dem Durchhaltevermögen
einer angeklagten Person zutraute. Es galt als ein Zeichen von Stümperei, falls ein Opfer die Folter nicht überlebte.
Hans Bürgler war nicht nur Gefangenenwärter und erfahrener Folterspezialist, sondern er versah zugleich das schwierige Amt des Scharfrichters, letzteres aber nur bei »normalen« Exekutionen, bei denen der Galgen oder das Beil zum Einsatz kamen. Galt es dagegen, eine überführte Hexe zu verbrennen, holte man einen »Nachrichter« von außerhalb.
Der »Eisenhans« unterschied sich insoweit von den meisten anderen Henkern, dass er am Foltern keine Freude hatte - im Gegenteil. Genau wie seine Frau empfand er eher Mitleid mit den Opfern. Aber darüber redete er niemals.
Um ein Verfahren einzuleiten, bedurfte es keiner offiziellen Klage mehr - es genügte, wenn die Organe der Justiz durch Denunziation von einem Verdacht auf Hexerei erfuhren.
Dennoch hielt sich die Bevölkerung mit Hexereiverdächtigungen unter Preisgabe der eigenen Identität sehr zurück - aus einem einleuchtenden Grund: Jede unbeweisbare Behauptung fiel auf den Anzeigenden zurück, der dann seinerseits mit einer empfindlichen Strafe zu rechnen hatte.
»Ein Glück«, stellte Alberta des Öfteren lapidar fest, »sonst könnten wir uns vor lauter Beschuldigungen gar nicht mehr retten …«
Lediglich zwei Gruppen von Personen - Geistesschwachen und Kindern - hielt man ihre fehlende Einsicht zugute. Das hatte allerdings zur Folge, dass die Anschwärzungen durch Minderjährige und sogenannte Dorfdeppen zum Anlass für zahllose Hexenverfolgungen wurden. Der Spruch »Kinder und Narren sagen die Wahrheit« erlangte in diesem Sinne eine zweifelhafte und grausige Geltung.
Im Übrigen war per se jeder verdächtig, der nach Ansicht des ungebildeten Volkes einen »wüsten« Lebenswandel führte,
der im Ruf stand, besondere Kenntnisse über Kräfte der Natur zu besitzen, der durch eine äußerliche Besonderheit auffiel (und wenn es nur rote Haare waren), der über nicht alltägliche Fähigkeiten verfügte oder der Drohungen gegen einen anderen ausstieß - und das Pech hatte, dass tatsächlich eine Schädigung des Bedrohten eintrat.
Etwas anders verhielt es sich freilich, wenn die betreffende Person von hoher Geburt war. Ein Beispiel dafür war Eleonore Marie Rosalie von Jägerndorf, Herzogin von Troppau. Die mit brandroten Haaren gesegnete Edelfrau befasste sich mit Kräuterkunde und ihrer Verwendung in der Medizin.
Sie sammelte eine Unmenge an Rezepten und
Weitere Kostenlose Bücher