Die Hexenadvokatin
Dinge getan zu haben, derer man sie bezichtigt«, wandte Alberta ein. »Damit ist doch erwiesen, dass ihre Ankläger im Recht sind.«
»Damit ist nur erwiesen, Alberta, dass man sie so lange der Folter unterzogen hat, bis sie ›gestanden‹ haben. Was auch keineswegs verwunderlich ist - wenn man Euch Arme und Beine
ausrenkte, die Fingernägel mit Zangen aus dem Fleisch risse und die Schienbeine bräche, würdet Ihr sogar zugeben, Eure eigene Mutter umgebracht zu haben.« Ohne es zu wollen, war der Pater nun doch etwas grob geworden. Aber die Uneinsichtigkeit seines Schützlings trieb ihn zur Weißglut. Halb erschrocken blickte er nun zu Alberta hinüber.
Doch die nahm keinen Anstoß an seinen Worten: »Na, mein guter Pater, ich finde, Ihr übertreibt mal wieder gehörig«, meinte sie leichthin. »Niemand könnte mich eines solchen Verbrechens anklagen - denn ich habe es nun mal nicht begangen.«
Die Studiosa der Rechte störte sich dabei offenbar keineswegs an der groben Unlogik dieser Argumentation.
»Aber mit den Hexen ist nicht zu spaßen. Ließe man sie nach Gutdünken schalten und walten, geriete die gesamte göttliche Ordnung aus den Fugen. Und das können wir doch guten Gewissens nicht zulassen.« Alberta musste das letzte Wort behalten und beharrte noch einmal, fast schon trotzig, auf dem, was doch richtig sein musste, weil alle es sagten - alle, außer dem Pater.
Dieser beendete die unergiebige Diskussion mit seinem Schützling - indem er schwieg. Er konnte nur hoffen und darum beten, dass die junge Gräfin in späteren, reiferen Jahren zu einer anderen Anschauung, als sie sie jetzt noch vertrat, gelangen würde.
KAPITEL 8
11. November 1604, in Bologna
GRÄFIN ALBERTA WAR bereits im dritten Semester ihres Studiums der Juristerei. Nach wie vor war sie eine eifrige Studentin, über die ihre Professoren nur Gutes zu berichten wussten. Bei den Mitstudenten war sie außerordentlich beliebt und galt als »Kerl zum Pferdestehlen«. Das mochte daran liegen, dass sie durch ihr früheres, unverhältnismäßig enges Zusammensein mit ihrem Zwillingsbruder die Verhaltensweisen junger Burschen gewohnt war und sich nicht daran störte. »Heute hat mir einer meiner Kommilitonen einen Frosch in die Tasche meines Umhangs gesteckt«, konnte sie beispielsweise lachend beim Abendessen erzählen. Wenn der Pater überlegte, wie sich andere junge Adelsdamen bei solch einer Episode aufführen würden, dann konnte er nur von Herzen »Deo gratias!« angesichts von Albertas Gleichmut murmeln.
Ihr Geheimnis war gottlob immer noch gewahrt - sogar die gefährliche Klippe des heißen Sommers hatte sie klug umschifft, indem sie, als ihre Freunde zum Schwimmen gingen, die Flucht in die Berge antrat und behauptete, sie zöge es vor, sich »zur Erfrischung« in höhere Bergregionen zurückzuziehen.
Als Studienkameraden sie neugierig fragten, welche Gipfel sie denn bereits bezwungen habe, fiel ihr zum Glück eine Reihe von Bergen aus den bayerischen und tirolerischen Alpen ein, die der verstorbene Zwillingsbruder erklommen hatte.
Bergsteigen oder gar Klettern waren absolut unüblich - das taten schließlich nur Ziegen oder Gämsen; Alberta erntete lediglich verständnisloses Kopfschütteln. Aber da alle sie mochten, sah man ihr diese Marotte nach.
Die jungen Männer akzeptierten sie als Ausdruck einer ein wenig exaltierten Persönlichkeit, die unter anderem auch dadurch auffiel, dass sie sich mit dem Konsum von Alkohol bemerkenswert zurückhielt - für »einen Deutschen« zumal. Galten die Tedeschi doch im Allgemeinen als standhafte Trinker …
So oft eine Einladung zu einem der, in regelmäßigen Abständen üblichen, Studentenbesäufnisse anstand, schob Alberta ihren Präzeptor, Pater Winfried, vor, indem sie behauptete, dass dieser ihr - im Auftrag ihres strengen Vaters - das exzessive Trinken strikt untersagt habe.
»So verständnisvoll mein Mentor auch ist, in dieser Sache versteht er keinen Spaß. Er würde sofort meinen Eltern schreiben und mich anschwärzen, wenn er mich auch nur ein einziges Mal besoffen erlebte«, wurde Alberta nicht müde zu erklären, ohne dabei auch nur ein einziges Mal rot zu werden.
Bisher war sie mit dieser kleinen Notlüge ganz gut gefahren: Niemand wagte es, den »Studiosus« aus dem Norden der »Unmännlichkeit« zu bezichtigen, weil er sich weigerte, dem Wein über Gebühr zuzusprechen.
Für ihre Freunde aus dem Süden war das Problem sowieso nicht so groß: In Italien und Spanien
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