Die Hexenadvokatin
an den weltlichen Genüssen lag, die ihnen ein freier akademischer Alltag gewährte.
Dass Rupert, »der Tedesco«, ein keusches Leben führte, sich auch beim Alkohol ziemlich zurückhielt und noch nie in eine Rauferei verwickelt war, fiel zwar jedem auf - früher war er doch nicht so tugendhaft gewesen -, aber alle dachten, das sei »seinem Wachhund«, Pater Winfried, geschuldet.
Und seit auf dem Campus der Universität der Vorfall die Runde machte, dass »Rupert« sich kürzlich mit dem Degen gegen zwei bewaffnete Strauchdiebe wacker zur Wehr gesetzt hatte, genoss »er« neuerdings sogar den Ruf eines Helden …
Als der Pater von dem Scharmützel erfuhr, aus dem sein Augapfel als strahlender Sieger hervorgegangen war, atmete er erleichtert auf. Sollte irgendjemand auch nur den geringsten Verdacht gehegt haben, dass mit dem Deutschen etwas »nicht stimmte«, dann waren diese Zweifel jetzt wohl vom Tisch.
»Aber zur Gewohnheit lasst das, bitte, nicht werden, meine Tochter«, bat er Alberta, während die beiden den Tisch für die Gäste deckten und sich dabei der Episode erinnerten. »Solltet Ihr wirklich ernsthaft bei einem Kampf oder Duell verletzt werden und der Hilfe eines Wundarztes bedürfen, flöge Eure Tarnung auf. Und Ihr wisst, was das bedeutet!«
»Ja, ich weiß: Inquisition, Anklage, Prozess, Verurteilung und das Ende meiner Laufbahn, ehe sie überhaupt begonnen hat, Pater. Keine sehr schönen Aussichten. Und ewige Schande für meine Familie! Das wäre das Ärgste, was passieren könnte. Ich werde mich in Zukunft noch besser vorsehen, Pater.«
»Buon Natale!«, hörten beide in diesem Augenblick von draußen rufen. Die Gäste waren eingetroffen.
Am Ende wurde es zwar kein besinnliches, aber trotzdem ein schönes, wenn auch lautes und äußerst fröhliches, eben ein »italienisches« Weihnachtsfest. Alberta genoss die Anwesenheit ihrer Kommilitonen, die sogar dem bedächtigen und ernsten Pater hin und wieder ein Lächeln entlockten. Spät in der
Nacht ertappte sie sich dabei, dass sie tatsächlich für einige Stunden kein einziges Mal an ihre Eltern gedacht hatte - und auch nicht an Rupert. Überhaupt schien es ihr manchmal, die Gedanken an ihn verblassten langsam in ihrer Intensität. Und dann wieder war es ihr, als sei sie dem Bruder sogar ein kleines Stückchen näher, so fern von der Heimat, in jener Fremde, in der er seine letzten Tage verbracht hatte und in der er offenbar ebenso glücklich war wie es seine Schwester allmählich wurde.
Weihnachten auf Schloss Pechstein war immer - sowohl für die Herrschaft als auch für das Gesinde - das wichtigste Fest des Jahres, sogar noch ein klein wenig bedeutsamer als Ostern. Heuer war das Christfest verständlicherweise überschattet: Ruperts Tod lastete schwer auf allen.
Und eine weitere schlechte Nachricht, die dem Graf am Vortag zu Ohren gekommen war, trug auch nicht gerade zur Besserung der allgemeinen Stimmung bei:
»Und so etwas Furchtbares kurz vor dem Fest der Liebe ?«
Die Gräfin konnte es nicht fassen und ihr Gemahl war geradezu außer sich. Trotz Maximilians Versprechen hatte der Jesuit nämlich die Grafschaft nicht verlassen, sondern war die Wochen vor Weihnachten äußerst umtriebig gewesen: Vor allem während der Abwesenheit des Grafen, der ja anlässlich der Hochzeit einige Tage in München verbrachte, hatte er die Leute in den Dörfern belästigt: Etliche ließ er durch seine Schergen verhören und festnehmen.
Zum Schluss fand er seine Opfer in Form von drei verdächtigen Frauen, die man, in Ketten gelegt wie wilde Tiere, in die Residenzstadt karrte, wo man sie in der Residenzstraße, vor kurzem noch Vordere Schwabinger Gasse genannt, in den Falkenturm warf. Dieser Turm, Teil der Stadtmauer, war das
herzogliche Gefängnis für alle Schwerverbrecher, in dem die Gerichtsdiener aus ganz Bayern ihre Häftlinge ablieferten. Ursprünglich hatte das Gebäude als Aufbewahrungsort für sämtliche zur Falkenjagd benötigten Utensilien gedient, doch seit beinahe hundert Jahren logierten hier die »Galgenvögel«, für die andernorts kein Platz war.
Und da hockten jetzt die drei angeblichen »Hexen«, eine ältere, ärmliche Kleinbäuerin, ferner die leicht verwahrloste Frau eines im Land umherziehenden Pfannenflickers sowie eine törichte junge Stallmagd, und harrten darauf, dass man ihnen den Prozess machte.
Wolfgang Friedrich war in ernster Sorge: nicht nur wegen der armen Gefangenen, für die wohl jede Hilfe zu spät kam, sondern
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