Die Hexenadvokatin
betrank man sich in der Regel nicht in dem Maße, wie die Deutschen und die Niederländer es für gewöhnlich taten, wenn sie glaubten, es der »Gemütlichkeit« unter akademischen Freunden schuldig zu sein.
Doch an diesem 11. November sah es schlecht aus für Alberta. Sie hatte sich - ohne sich vorher mit Pater Winfried zu beraten - auf eine Unternehmung eingelassen, die ganz dazu angetan schien, ihre Tarnung als »junger Mann« auffliegen zu lassen.
Später hätte sie sich am liebsten geohrfeigt, dass sie so naiv
gewesen und auf den Vorschlag von einigen Mitstudenten eingegangen war, ein Bordell zu besuchen. Doch ihr neues Leben verlieh ihr an manchen Tagen ein solches Gefühl der Schwerelosigkeit, dass sie leichtsinnig wurde. Die Freundschaft mit den Kommilitonen, die sie ganz als »einen der Ihren« behandelten, berauschte sie geradezu.
»Das Etablissement ist vom Feinsten«, behauptete einer der älteren Semester, der angeblich »schon oft« dort eingekehrt war. »Es ist nicht ganz billig, aber die Speisen und die Getränke sind erstklassig und die Räume, einschließlich der Schlafzimmer, sehr sauber. Und dass die anwesenden Damen, was Schönheit, Liebenswürdigkeit und ›Entgegenkommen‹ betrifft, nichts zu wünschen übriglassen, versteht sich von selbst.«
Albertas Clique war sofort Feuer und Flamme und man beschloss, diesem Haus mit dem bedeutungsvollen Namen Settimo Cielo einen Besuch abzustatten.
Anfangs hatte die unbedarfte Alberta gedacht, es handle sich lediglich um eine der üblichen Kneipentouren, die nun also einmal in ein offenbar neues Wirtshaus führen sollte.
»Was verliere ich schon dabei?«, ging es ihr durch den Kopf. »Ein bisschen Wein vertrage ich schon - und sollte es doch ein wenig mehr werden, kann ich dort übernachten, Gästezimmer scheint es ja zu geben.«
Ungewöhnlich fand sie lediglich die Tatsache, dass sich auch Damen dort aufhalten sollten. Aber warum eigentlich nicht? Wenn sie so nett waren, wie behauptet wurde, könnte sie sich ja mit ihnen unterhalten … Eigentlich konnte deren Anwesenheit doch nur bedeuten, dass es sich um ein ehrenwertes Haus handelte. Den Pater von ihrem Vorhaben zu unterrichten, befand sie dieses Mal nicht für nötig; nachdem sie sich in
ihrem Alltag immer selbstsicherer bewegte, schwand ihr ohnehin mehr und mehr die Lust, ihm über jeden ihrer Schritte Rechenschaft abzulegen.
Es sollte allerdings nicht lange dauern, bis sie merkte, welcher Art die Genüsse waren, die den Besucher in den »Siebten Himmel« katapultieren sollten …
Als sie mit ihren Freunden eintraf, wurden sie von der Betreiberin des Etablissements in Empfang genommen, einer dicken, vor aufdringlicher Freundlichkeit nahezu triefenden Matrone. Sie taxierte jeden Ankömmling genau nach seiner augenscheinlichen Zahlungskraft. Dementsprechend teilte sie jedem der Herren eine »passende Gesellschafterin« zu.
»Diese reizende junge Dame aus gutem Hause mit dem schönen Namen Isabella wird Euch helfen, Conte, die Zeit in unserem Haus so angenehm wie nur möglich zu verbringen«, säuselte die Bordellmutter, eine Frau von etwa fünfzig Jahren mit verlebten Gesichtszügen.
Isabella kam Alberta nicht gerade unangenehm vor. Sie war in der Tat recht hübsch und auf den Mund gefallen war sie auch nicht. Sie setzte sich mit der Gräfin auf ein Sofa in einer schummrigen Ecke und bestellte das Abendessen nebst einer Flasche Wein.
Auf Befragen behauptete das schlanke, braunäugige Mädchen, das ein gelbrotes Seidengewand mit offenherzigem Ausschnitt trug, aus Palermo zu stammen und die natürliche Tochter eines sizilianischen Fürsten zu sein. Ihre Mutter sei vor ihrer Geburt an seinem Hof in Palermo Hofdame gewesen.
»Welch interessante Lebensgeschichte«, dachte Alberta in ihrer Arglosigkeit und trank ihrer Tischdame mit der rotbraunen Lockenpracht zu.
Als beide die Gläser wieder absetzten, verschlug es ihr allerdings
beinahe die Sprache. Isabella hatte bei Gott einen kräftigen Zug!
Die junge Gräfin war jetzt doch ein wenig erschrocken. »Hoffentlich reicht das Geld, das ich bei mir habe«, schoss es ihr durch den Kopf. »Na, Hauptsache, es schmeckt ihr - dann fällt es wenigstens nicht so auf, wenn ich mich mit dem Trinken zurückhalte. Im Notfall muss einer meiner Freunde mir etwas leihen.«
Bald stand eine verlockend duftende Terrine auf dem Tisch: Zarte, in Zitronensaft und Olivenöl eingelegte Kalbslendchen in einer würzigen Thymianweißweinsauce auf
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