Die Hexenadvokatin
hatte. Und die beiden Studiosi, die sich bereits mit ihren Mädchen auf dem Liebeslager gewälzt hatten, hatten nicht nur die Zeche geprellt, sondern waren dazu noch den vereinbarten Liebeslohn schuldig geblieben. Ihre Gespielinnen - noch neu in diesem Gewerbe - hatten es versäumt, vorab zu kassieren …
Einer sprach schließlich aus, was alle dachten: »Umkehren wäre blöd - unsere Schulden können wir ja beim nächsten Mal begleichen.«
Für Alberta allerdings würde es kein nächstes Mal geben. Sie atmete erst richtig auf, als sie vollkommen sicher sein konnte, mit einem blauen Auge davongekommen zu sein. Und das war durchaus wörtlich zu nehmen: Ein allerliebstes Veilchen zierte ihr rechtes Auge, welches ihr der »Ochse« verpasst hatte, ehe sie ihn endgültig zu Boden gestreckt hatte.
Der Bluterguss schmerzte die Grafentochter noch tagelang, machte sie aber nach Meinung ihrer Kommilitonen zum absoluten »Helden« - und dafür, fand jedenfalls Alberta, lohnte es sich durchaus, ein wenig zu leiden.
Weitaus schlimmer war die Strafpredigt von Pater Winfried, als sie ihren »Fehltritt« beichtete. Alberta konnte den guten Mönch ja verstehen: Es hätte nicht viel gefehlt und ihre so
sorgfältig ersonnene und bisher streng gehütete Tarnung wäre aufgeflogen.
Die Studiosa quälte das schlechte Gewissen; beinahe hätte sie ihre Eltern bis auf die Knochen blamiert. Auf immer wäre jegliches Wohlwollen, das der Herzog anscheinend den Mangfall-Pechsteinern entgegenbrachte, dahin. Diese Schmach wäre fürchterlich gewesen. Und alles durch ihre Schuld! Niemals durfte das geschehen.
KAPITEL 10
Im Spätherbst 1609, in Bologna
EHE PATER WINFRIED und sein Schützling sich’s versahen, waren sechs Jahre verstrichen. Alberta schien es dabei manchmal, als sei es erst gestern gewesen, dass sie, vor Aufregung halb erstarrt, das erste Mal die ehrwürdigen Hallen der Universität zu Bologna betrat. Seitdem hatte sich so viel verändert: Das Studium und auch das Zusammensein mit Gleichgesinnten verliehen ihrem Leben eine Intensität, die sie nicht mehr missen wollte. Zwar fehlten ihr die Familie und auch die Heimat, doch sie hätte nicht mehr in ihre alte Rolle schlüpfen wollen, deren einziger Inhalt darin bestanden hätte, möglichst schnell einen respektablen, heiratswilligen Edelmann zu finden.
Wie es nach dem Studium einmal weitergehen sollte, darüber machte sie sich kaum Gedanken - und wenn, dann nur in einer äußerst verklärten und abgehobenen Weise. Die Tatsache, dass sie auch weiterhin etwas spielen musste, was sie nicht war, klammerte sie dabei gänzlich aus.
Dem Pater dagegen bereitete dies umso mehr Kopfzerbrechen: Alberta war noch so jung und durch eine Erziehung geprägt, die von den Kindern Respekt und absoluten Gehorsam den Eltern gegenüber verlangte - auch wenn die Erziehungsberechtigten diesen oft gar nicht verdienten.
Noch war sie nicht so weit, die väterliche Autorität infrage zu stellen. Pater Winfried dankte dem Herrgott regelmäßig dafür, dass Alberta nicht aufmüpfig war, sondern einsichtig, strebsam und gutwillig. Geradezu als arglos war sie in ihrem bewundernswerten Gottvertrauen schon zu bezeichnen. Sie schien zutiefst davon überzeugt, dass alle nur das Beste für sie wollten - ein Umstand, der den Pater einerseits beruhigte und ihm andererseits manch schlaflose Nacht bescherte. Denn ein wenig mehr Skepsis hielt er angesichts von Albertas gefährlicher Maskerade durchaus für angebracht.
Auch die Lehrer an der Hochschule und deren Ansichten nahm Alberta kritiklos hin. Was das anbetraf, hätte sich der Pater ebenfalls mehr Distanz von ihr gewünscht - nicht zuletzt, wenn es um die abscheulichen Hexenprozesse ging.
Wenigstens hatte sie aus dem Fiasko mit dem Freudenhaus ihre Lehren gezogen und war seitdem nie mehr so leichtsinnig gewesen, sich in ein derartiges Etablissement mitnehmen zu lassen. Den Freunden tischte sie eine Mär über eine Verlobung mit einer bayerischen Edeldame auf und faselte allerlei von »unbändiger Verliebtheit«, die es ihr auferlegte, der Holden bis zur Hochzeit unbedingt treu zu bleiben … Daraufhin wagte es niemand mehr, Alberta zu einem Besuch im Bordell überreden zu wollen.
Zur Erleichterung des Benediktiners hatte Alberta bisher nicht an der Rechtmäßigkeit gezweifelt, ihre Umwelt zu betrügen, indem sie ihr wahres Geschlecht verheimlichte. Es erschien ihr vollkommen in Ordnung: Wie hätte sie sonst studieren
können? Es war schließlich nicht
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