Die Hexenadvokatin
durfte sie nur keinen Fehler machen. Es könnte ihr unendlich schaden, wenn sie Freda gegen sich aufbrachte …
»Ich verstehe, dass du über seinen Tod sehr traurig warst. Du und er, ihr wäret gewiss sehr glücklich miteinander geworden«, behauptete Alberta. »Aber wenn du so lange geschwiegen hast, warum rückst du jetzt auf einmal mit der Wahrheit heraus? Was willst du wirklich von mir?«
»Ich habe es nicht mehr ausgehalten, das Geheimnis für mich zu behalten. Es hat mich ganz krank gemacht, zu glauben, dass man mich für dumm hält. Ich kann doch einen jungen Burschen von einem Mädel unterscheiden - trotz Eurer erstaunlichen Ähnlichkeit mit Herrn Rupert.
Schon als Ihr mich am Sarg Eures Bruders abgewiesen habt - als ich Eure Hand auf meine Brust legte -, mit der mageren Ausrede, Ihr hättet vor Trauer anderes im Sinn, da wusste ich mit Gewissheit, dass ich seine Schwester vor mir hatte: Der
echte Rupert hätte nämlich nur zu gerne auf mein Angebot zurückgegriffen!
Gerade ein Mann, der trauert, braucht ganz dringend den körperlichen Trost, den nur eine Frau ihm spenden kann - wenn Ihr versteht, was ich meine! Merkt Euch das für die Zukunft.«
»Ich danke dir, Freda. Auch dafür, dass du den Mund gehalten hast. Aber, was hast du jetzt vor?« Misstrauisch musterte Alberta die Geliebte ihres Bruders.
»Seid ganz unbesorgt, ich werde auch weiterhin schweigen. Ihr solltet nur wissen, dass ich Bescheid weiß. Und damit Ihr Euch nicht wundert, warum ich noch nicht unter der Haube bin: Ich kann Euren Bruder in alle Ewigkeit nicht vergessen!«
Beim letzten Satz brach das Mädchen in Tränen aus.
»Wie gut, dass sie nicht weiß, dass ihr treuloser Liebster sie kurz danach mit einer adligen Novizin in einem Kloster betrogen hat«, dachte Alberta und fühlte zum ersten Mal Mitleid mit Freda - und Erleichterung darüber, dass ihr etwas Derartiges noch nicht widerfahren war.
»Also? Kein Wort zu irgendeinem Menschen?«, fragte die junge Gräfin und griff nach der Hand Fredas von Hoferichter.
»Kein Wort! Ich schwöre es bei allem, was mir heilig ist, Gräfin. Niemals soll ein Sterbenswörtchen über meine Lippen kommen.«
Höflich knickste sie vor der um einen halben Kopf größeren, schlanken Gestalt, die ihren Gelehrtentalar wieder übergezogen hatte. Die Lust zum Ausritt war Alberta vergangen.
»Im Übrigen: Ihr spielt Eure Rolle ganz vorzüglich«, konnte Freda sich nicht verkneifen zu bemerken. »Wäre ich nicht die Geliebte Eures Bruders gewesen, hätte ich niemals auch nur den geringsten Argwohn gehegt.«
KAPITEL 12
15. April 1610, in München
»SEINE DURCHLAUCHT, UNSER allergnädigster Herzog, lässt Euch durch mich sein größtes Wohlwollen und seinen tiefsten Dank für die zügige, kompetente Abwicklung des letzten - und Eures ersten - Hexenprozesses aussprechen. Ihr, Graf Rupert, habt trotz Eurer Jugend bewiesen, dass ein guter Jurist und Oberster Kommissar imstande ist, solch leidige Malefizverfahren mit großer Umsicht und dennoch aller gebotenen Eile durchzuführen.
Wie Ihr wisst, ist Seiner Durchlaucht nichts ärgerlicher als die endlose Verschleppung einer Gerichtssache, deren Ausgang von vornherein klar ist. Im Namen und im Auftrag unseres allergnädigsten Herrn Maximilian darf ich Euch diese Auszeichnung überreichen.«
Der etwas klein geratene Erste Minister, Graf von Rechberg, musste sich ein wenig strecken, um dem hochgewachsenen, gertenschlanken Geheimen Rat, Rupert zu Mangfall-Pechstein, die goldene, mit Brillanten besetzte Ordensspange an die Brust zu heften.
Vorsichtshalber hatte Alberta am Morgen ihr Brustband ganz besonders stramm um den Oberkörper gelegt. Doch von Rechberg ahnte von ihrem Schwindel freilich nichts. Auch sonst hegte keiner in der Residenz auch nur den geringsten Verdacht, dass mit »dem Neuen aus der Provinz« irgendetwas nicht stimmen könnte.
Der jugendliche Geheime Rat des Herzogs fiel weder durch weibisches Benehmen, noch durch figürliche Auffälligkeiten oder eine hohe Stimme auf. Zum Glück war Alberta von knabenhafter Statur - besonders die Hüften und vor allem die
mit engen Strumpfhosen bekleideten Oberschenkel waren schmal - und ihre alles andere als üppige Oberweite ließ sich bestens mittels einer jeden Morgen sorgfältig gewickelten Bandage »eindämmen«.
Dass der schmucke »Edelmann« um die Schultern herum vielleicht ein wenig schmächtig geraten war, fiel durch die herrschende Mode der übertrieben mit Rosshaar ausgepolsterten
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