Die Hexenadvokatin
Ärmel gar nicht auf. Höchstens die Hände hätten sie verraten können. Doch es gab schließlich auch so manch einen Mann mit zierlichen Handgelenken und schmalen Fingern.
»Schließlich bin ich kein Schmied oder Bauer«, hatte sie erst kürzlich einem Herrn aus dem Hofrat, der vor Kollegen eine dumme Bemerkung über ihre »Händchen« machte, spöttisch entgegnet. Der andere, ein Emporkömmling, dessen Vorfahren nachweislich aus dem bäuerlichen Stande stammten, bekam einen roten Kopf und schwieg betreten angesichts der hämischen Mienen der übrigen Herren …
Alberta konnte sich ausrechnen, dass dies nicht ihr letzter Hexenprozess gewesen war. Darauf war sie einerseits sehr stolz. Aber obwohl sie es geschafft hatte, den Fall mit der vom Herzog gewünschten Schnelligkeit zu verhandeln und das vorgesehene Urteil für derlei gottlose Untaten - nämlich die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen - zu verhängen, dachte die frischgebackene »Doktorin der Rechte« doch mit recht zwiespältigen Gefühlen an die zurückliegende Verhandlung.
Keine Frage, dass sie von der Schuld der beiden Angeklagten überzeugt war. Aber die ganze causa hatte sie doch sehr mitgenommen und überdies mit ausgesprochenem Ekel erfüllt. Die Verbrechen, die dabei in aller Ausführlichkeit zur Sprache gekommen waren, verstörten sie zutiefst.
Von der Tötung kleiner ungetaufter Kinder war die Rede,
um aus deren Blut und Fett eine widerwärtige »Hexensalbe« herzustellen. Auch dass das Weibsbild mit anderen Hexen den Teufel angebetet und ihm ihre Seele verkauft habe, galt es zu erörtern. Und gar dem geschlechtlichen Verkehr der Angeklagten mit dem Teufel in Gestalt eines brünstigen Ziegenbocks hatte sie lange Zeit widmen müssen, gemäß den genauen Vorschriften des Hexenhammers , nach denen so ein Prozess zu führen war.
Obwohl es ihr schrecklich peinlich war, hatte Alberta auf der Frage beharren müssen, wie das Glied des Teufels sich angefühlt hatte. Wie lang und dick war dieses Teil und war es warm oder eiskalt? Hatte die Angeklagte es mit der Hand gerieben oder es gar in den Mund genommen? In welche Öffnung ihres Körpers war der teuflische Bock eingedrungen? Wie lange hatte der Verkehr gedauert? War es zum Samenerguss gekommen?
Ferner: Welcher Art waren dabei die Gefühle der Hexe gewesen? Wie oft war es zum Verkehr mit dem Satan gekommen? Hatte sie Lust dabei empfunden und würde sie es gerne wieder tun?
Wie Alberta feststellte, machte es einen gewaltigen Unterschied, ob man solche Dinge in Büchern las - oder ob man diese Ausdrücke selbst in den Mund nehmen musste.
Dreist hatte das freche Frauenzimmer alles abgestritten. »Ich und eine Hex’, die solche Sauereien macht? Nie und nimmer! Das schwör’ ich beim Seelenheil meiner toten Mutter!«, hatte sie behauptet.
Etliche Male hätte sich Alberta - die überraschend zum Obersten Hexenkommissar avancierte Rechtskundige - während des unappetitlichen Prozesses am liebsten übergeben. Lag es womöglich an ihrem »falschen« Geschlecht? Empfand sie deshalb anders? Alberta hatte sich im Laufe der vergangenen
Wochen und Tage des Öfteren die Frage gestellt, ob andere Hexenrichter wohl auch durch solche Skrupel, wie sie sie hatte, irritiert wurden.
Der sechzigjährige Störschneider Sebastian Wiesler in seinen fadenscheinigen, verdreckten Hosen und seine Tochter Hanne im zerschlissenen, speckigen Gewand waren gewiss der Zauberei und Hexerei so schuldig, wie man es nur sein konnte - daran bestand für Alberta kein Zweifel.
Das Weibsbild von sechsundzwanzig Jahren war so rund, drall und dreist wie der Vater dürr, knochig und hasenherzig war. Noch dazu hatte Hanne Wiesler das Schneiderlein beinahe um Haupteslänge überragt.
Kaum waren die beiden Delinquenten vor die hinter dem langen Richtertisch sitzenden Kommissare in ihren feierlichen, schwarzen Roben geführt worden, sorgte Alberta bereits für eine aufsehenerregende »Neuerung« vor Gericht: Ihr ästhetisches Empfinden vertrug sich nämlich nicht mit dem verlotterten Aufzug der Angeklagten.
Sie ließ den Kerkermeister vortreten und trug ihm auf, die beiden Missetäter wieder mitzunehmen und ihnen die zerrissenen und verschmutzten Fetzen auszuziehen. »Sagt Eurem Weib, sie möge sowohl dem Schneider als auch seiner Tochter einen einfachen, aber sauberen Kittel geben. Die stinkenden Lumpen, womit sie jetzt spärlich ihre Blöße bedecken, werft nur getrost ins Feuer.«
Als Alberta die erstaunten Blicke der übrigen
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