Die Hexenadvokatin
den Stall betreten, wusste sie jedoch: Sie war nicht allein.
Sie vernahm ein seltsames Schnaufen, Ächzen und Stöhnen, wobei es ihr vorkam, dass Letzteres recht lustvoll klang und anscheinend von einem Frauenzimmer stammte. Nach einigen Schritten hinein ins warme Dunkel des Pferdestalls entdeckte sie das Pärchen im Schein einer trüben Laterne.
Eine der jüngeren Küchenmägde war es, die rücklings auf der Futterkiste lag, den weiten Rock nach oben geschlagen und auf ihr bemühte sich - Friedrich August, der frühreife Bengel! Die Magd, deren freiliegende, üppige Brüste der jugendliche Liebhaber knetete, hatte ihre festen, weißen Schenkel um die mageren Hüften Friedrichs geschlungen, um ihn festzuhalten, während dieser wie besessen dem Höhepunkt entgegenfieberte.
Beide waren so vertieft in ihr vergnügliches Tun, dass sie Alberta überhaupt nicht bemerkten. Diese - wie immer vollkommen ratlos, sobald es sich um die Manifestation aktiver menschlicher Geschlechtlichkeit handelte - blieb stocksteif stehen. Sie bemühte sich, ja kein Geräusch zu machen; sollten die beiden sie entdecken, wäre ihr das äußerst peinlich …
Eine Weile beobachtete sie die Szene, die sich da vor ihren Augen im dämmrigen Stall abspielte. »Eigentlich wie bei Pferden oder Rindern«, schoss es ihr durch den Kopf, »oder wie bei Hunden. Bloß, dass sich die zwei dabei in die Augen sehen!«
Ohne in diesen Dingen die geringste eigene Erfahrung zu besitzen, blieb ihr nicht verborgen, dass das heftige Liebesspiel seinem Ende zuging: Ihr Bruder stieß noch wilder in den Schoß der Magd hinein, ächzte und schnaufte noch lauter, und das Mädchen wimmerte regelrecht, während ihr der Schweiß über die Stirn, den Hals und die nackten Brüste lief.
»Ja, ja! Mach weiter!«, feuerte sie ihren jugendlichen Liebhaber immer wieder an und der ließ sich das nicht zweimal sagen. Alberta machte, dass sie geräuschlos aus dem Stall hinauskam, um nicht am Ende doch noch als Voyeurin überrascht zu werden.
»Es ist schon recht eigenartig, dass ich es bin, die sich geniert - obwohl es doch die zwei anderen sind, die gegen das sechste Gebot verstoßen«, dachte die junge Frau verärgert, als sie draußen in der Kälte vor der Stalltür stand. Außerdem musste sie sich eingestehen, dass die Situation sie erstaunlicherweise nicht ganz kaltgelassen hatte: Gar zu ursprünglich, unverkrampft und lustvoll war ihr das tierhaftschamlose »Liebemachen« vorgekommen …
Und was ihren »kleinen« Bruder anlangte: Offenbar hatte die Natur ihn bereits dazu befähigt, sich wie ein Mannsbild zu verhalten - und daher tat er es wohl auch. Plötzlich tauchte in Albertas Kopf eine ungeheuerliche, ja brandgefährliche Frage auf: Sollte das selbstverständliche Ausleben von natürlichen Trieben wirklich so eine schreckliche Sünde sein, wie die Kirche es behauptete?
Sie nahm sich vor, diesbezüglich einmal mit Pater Winfried zu sprechen. Obwohl ein Angehöriger des katholischen Klerus - und noch dazu ein Mönch, der ewige Keuschheit geschworen hatte -, war der Benediktiner ein Mann von gesundem Menschenverstand, der sich über Ge- und Verbote der Kirchenoberen regelmäßig seine eigenen Gedanken zu machen pflegte.
Von Herzog Maximilian allerdings wusste jedermann in Bayern, dass er Vergehen gegen das sechste Gebot geradezu verabscheute. So unternahm er immer wieder regelrechte Kreuzzüge gegen die Unkeuschheit - vor allem gegen diejenige der niederen Schichten.
Er behauptete, vor allem Bedienstete seien besonders anfällig für die Sünden des Fleisches und dieser schweren Unart müsse man unbedingt einen Riegel vorschieben.
Der Herzog hatte bereits Dutzende sogenannter Keuschheitsmandate erlassen, die alle sexuellen Anfechtungen bereits im Keim ersticken sollten. So wurden etwa Tanzveranstaltungen nicht mehr unter der Woche abgehalten und wenn sie am Samstag stattfanden, durften sie nur von Mittag bis zum Nachmittag andauern und mussten spätestens um fünf, im Winter um vier Uhr - jedenfalls lange vor Sonnenuntergang - ein Ende haben.
Damit wollte er vermeiden, dass die Untertanen sich bis zur Bewusstlosigkeit betranken und dann »wie die Viecher« übereinander herfielen - sei es zum Raufen oder zur Unzucht.
Desgleichen waren »wilde« Tänze verboten, das »Halsen« oder Aneinanderdrücken, das Herumschwenken oder das Aufheben der Mädchen, weil man dabei ihre Beine (oder womöglich noch mehr!) unter den weiten Röcken sehen könnte.
Außerdem war es
Weitere Kostenlose Bücher