Die Hexenadvokatin
um das Paar geschart hatten, so deutlich ihre schmalen Handgelenke sahen, kratzte sich so mancher leicht besorgt am Hinterkopf. Das konnte für den »Hexenrichter« eigentlich nur schlecht ausgehen, wirkte der Fremde doch trotz seiner kleinen Statur wesentlich kräftiger.
Manchen mochte zwar die Aussicht auf eine Niederlage des Obersten Kommissars fröhlich stimmen, aber die Mehrzahl würde über den Sieg eines »Zuagroasten«, wie man Fremde in Bayern nannte, mit Verdruss reagieren.
Während der Wirt »drei, zwei, eins und los!« zählte, erinnerte sich die Gräfin an eine ähnliche Situation während ihrer Studentenzeit in Bologna. Damals hatte sie unter Kommilitonen etwas beobachtet, das ihr jetzt vielleicht von Nutzen sein konnte.
Der Fremde, der aus der Nähe betrachtet ein ziemlich grobschlächtiges Gesicht hatte, begann umgehend wie ein Verrückter zu zerren - und scheinbar gab Alberta sofort nach. Offenbar unternahm sie nicht einmal den Versuch der Gegenwehr - trotz der anfeuernden Rufe der Münchner Gäste.
Als der Herausforderer bereits mit einem triumphierenden Lachen zur endgültigen Niederlage Albertas ansetzte - im nächsten Augenblick würde sie mit der Brust auf der Tischplatte liegen (und zwar in der gegnerischen Hälfte!) -, wendete sich plötzlich das Blatt!
Mit einem Wutschrei, gemischt mit Verblüffung, lag der Herausforderer über dem Eichentisch, ganz nahe bei Alberta. Die Aufregung der Zuschauer war unbeschreiblich. Der Wirt und die übrigen Umstehenden schlugen dem Gewinner so kräftig auf die Schulter, dass die junge Frau beinahe zusammenbrach. Alle gratulierten ihr lautstark, so dass der Fremde mit seinem Protest, das Ganze sei nicht rechtens gewesen, gar nicht durchdrang.
Alberta kümmerte das wenig. Hauptsache, von den Herren hatte keiner bemerkt, dass sie den »welschen Dreh« angewendet hatte, scheinbar nachzugeben, den anderen in Sicherheit zu wiegen und ihm in der entscheidenden Sekunde brutal und unerwartet mit aller Gewalt mit dem Stiefelabsatz unter dem
Tisch gegen das Schienbein zu treten. Die Irritation hatte bestens funktioniert.
Die Gräfin war sich sicher: Pater Winfried wäre entsetzt über diese neuerliche Gefahr, der sie sich ausgesetzt hatte und der sie nur durch viel Glück heil entronnen war. Er warnte sie regelmäßig eindringlich davor, sich in Situationen zu begeben, die körperlichen Einsatz von ihr verlangten. Sie beschloss daher, über den Vorfall Stillschweigen zu bewahren.
Zu ihrem großen Leidwesen hatte Alberta auch weiterhin Hexenprozesse zu führen. Natürlich hatte der Pater es richtig vorhergesehen, dass sie sich den Befehlen Maximilians nicht widersetzen konnte. Nach einer vorübergehenden Pause unmittelbar nach dem Tod Fredas ging es weiter wie zuvor.
Alberta wurde landauf, landab nur noch »der Hexenrichter« genannt. Am schlimmsten war es natürlich in der Hauptstadt München, wo ihr sogar die Gassenbuben diesen Namen hinterherschrien, sooft sie sich auf der Straße blicken ließ. Sie hingegen legte Wert darauf, ganz korrekt als »Oberster Kommissar« bezeichnet zu werden.
»Ich bin keineswegs der Richter, ich verurteile niemanden zum Scheiterhaufen«, wehrte sie sich, sooft sie den verhassten Titel im Zusammenhang mit ihrem Namen hörte.
Denn keiner dieser häufig dem Adel angehörenden Juristen, welche die Verhandlungen gegen angebliche Hexen führten, pflegte selbst das Urteil zu fällen. Aus irgendeinem Grund galt es nämlich als ehrenrührig, Menschen dem Flammentod zu überantworten - eine der zahlreichen Ungereimtheiten im Zusammenhang mit den Hexenprozessen.
»›Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass‹, nennt man das«, äußerte abfällig der Benediktiner, aber Alberta legte
dennoch Wert darauf, niemals persönlich ein Todesurteil ausgesprochen zu haben.
Den eigentlichen Urteilsspruch überließ man dem dazu ernannten Richter und befleckte sich somit nicht die Hände mit dem Blut der Verurteilten.
Dieser Mann, meist ein überschuldeter Kleinadliger vom Land, wurde nach Beendigung des Verfahrens eigens nach München zitiert, um anstelle des prozessführenden Kommissars »die Hexe« zum Feuertod zu verurteilen. Dieser Richter war es dann, der den Stab über dem Opfer brach.
Anschließend musste er auch noch der grausigen Urteilsvollstreckung beiwohnen, während der Oberste Kommissar und seine Beisitzer sich für gewöhnlich nicht blicken ließen.
Nachdem der Richter für diesen Dienst den fälligen Lohn
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