Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Woher wissen wir denn, dass das Weibsbild überhaupt in Indien war? Weil sie eine Gauklerin gemietet hat für ihren Auftritt? Meine Herren, anstatt so schamlos auf den nackten Bauch dieser Betrügerin zu starren, sollten wir unsere Augen lieber auf den Jungen richten und uns der Frage zuwenden, wer denn dieses Kind ist.«
Hundsfott, elender, dachte Rosa und schleuderte ihm feindliche Blicke zu, die an ihm abprallten, ja ihn beinahe zu erheitern schienen.
Widerwillig breitete sich Gemurmel aus. Dobkatz schlug ungeduldig mit der Faust auf den Tisch. »Silentium, meine Herren, Silentium!« Danach trat endlich Ruhe ein.
»Also fahren wir fort. Wer ist dieses Kind?«
»Mein Neffe Kaspar, der Enkel meines Vaters, des Spielkartenmachers und Kupferstechers Zapf.« Rosa war stolz, dass sie nicht einmal über das Wort Vater gestolpert war, sondern mit fester Stimme laut und klar gesprochen hatte.
Dobkatz wedelte mit der blonden Locke, die er Rosa vor zwei Jahren abgenommen hatte, lachte höhnisch und zwirbelte die Enden seines Spitzbartes.
»So, Ihr wollt uns also weismachen, dass diese Haare hier in meiner Hand identisch sein sollen mit den roten dieses Kindes?«
Rosa nickte. »Der Junge hat genau die gleichen Haare, die meine Schwester und mein Vater hatten.«
Arevhat mischte sich ein. »Es ist doch eine altbekannte Tatsache, dass sowohl die Augen als auch die Haarfarbe eines Neugeborenen nicht immer so bleiben.«
»Das mag wohl sein«, Dobkatz gab sich jovial, nur um dann seinen nächsten Pfeil abzuschießen, »doch habt ihr sonst noch irgendeinen Beweis anzubieten, dass wir hier den Enkelsohn des Kartenmachers Zapf vor uns haben?«
Rosa überlegte, ob es an Kaspars Körper irgendetwas gäbe, was ihn mit ihrem Vater in Verbindung brächte. Beinahe wünschte sie, ihr Neffe wäre ebenso verkrüppelt wie sie, das wäre ein Beweis, den alle akzeptieren müssten. Aber er ist ja nicht dein Neffe, er ist nicht einmal verwandt mit dir, flüsterte eine böse Stimme in ihrem Kopf.
Aber darum ging es jetzt nicht, machte sie sich klar. Wenn sie dieser Stimme zuhörte, wenn sie nicht weiterkämpfte, dann war all die Liebe, die der Spielkartenmacher ihr entgegengebracht hatte, an sie verschwendet worden, dann war sie seiner Liebe nicht wert gewesen.
»Nun?« Dobkatz und die anderen schienen noch immer auf eine Antwort zu warten.
»Lässt er vielleicht schon eine Begabung zum Zeichnen erkennen?«, fragte ein wohlwollender, schmerbäuchiger Ratsherr.
Arevhat räusperte sich, bevor Rosa antworten konnte. Dann begann Arevhat zu sprechen.
»Diese Frau hier«, Arevhat zeigte dramatisch mit der ausgestreckten, reich mit Ringen geschmückten Hand auf Rosa, »hat ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um ihren Neffen aus dem Harem zu retten, wohin man ihn und seine Mutter verschleppt hatte, und das alles nur, um Eure fragwürdigen Auflagen zu erfüllen. Ihr habt ihre Mutter höchst voreilig in den Schuldturm geworfen, ohne jede Erklärung, und jetzt sitzt Ihr hier und bezweifelt, dass dieses Kind der einzig wahre und richtige Erbe ist. Ihr solltet Euch schämen!«
Rosa bewunderte Arevhat, die sich wie eine Löwin in Positur geworfen und mit lauter Stimme gesprochen hatte.
Doch sie war sich nicht sicher, ob die Männer über Arevhats Worte auch nur eine Sekunde nachdenken würden.
Die Männer sahen sich an, alle starrten zu Dobkatz.
»Wieso ist die Zapfin schon im Schuldturm?«, fragte Wurffbain.
»Wegen ihrer Schulden.« Dobkatz zuckte mit den Schultern. »Das Weib hat’s nicht anders verdient.«
»Wir bezahlen alles. Wir haben genügend Geld«, stellte Arevhat fest. »Sollen wir gleich hier?«
Die Ratsherren schüttelten ihre Köpfe. »Nein, jetzt geht es darum, zu entscheiden, ob das Kind der rechtmäßige Nachfahre ist«, befand der Schmerbäuchige.
Wurffbain meldete sich zu Wort und lächelte Rosa wohlwollend zu. »Ich hätte da einen Vorschlag. Wenn der Knabe von seiner Nürnberger Mutter aufgezogen wurde, dann wird er ja wohl der deutschen Sprache mächtig sein.«
Rosa nickte und wechselte mit Arevhat einen schnellen Blick – das konnte noch alles verderben. Seit sie unterwegs waren, hatte Kaspar jeden Tag weniger Deutsch gesprochen.
»Gut«, sagte Dobkatz in säuerlichem Ton, »dann möge der Knabe vortreten und uns etwas von seiner Mutter erzählen.«
Arevhat flüsterte mit Kaspar, dann schob sie ihn vor sich, blieb aber schützend hinter ihm stehen.
»Ihr müsst dem Kind schon Fragen stellen. Kaspar ist übermüdet
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