Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Gott beliebt hat, meinen seligen Ehemann und mich für unsere Sünden zu strafen, indem er uns den sehnlichst erwünschten Sohn versagt hat, doch wer seid Ihr …«
Der spitzbärtige Rabe wurde rot im Gesicht und sprang auf. »Ihr vergesst Euch, denkt daran, vor wem Ihr hier steht!«
Die Mutter verstummte und zuckte zurück, als hätte er sie geschlagen.
»Ihr schließt den Betrieb, verkauft Euer Haus und alle Gerätschaften und sucht Euch eine andere Bleibe, eine, die Euch und Euren merkwürdigen Töchtern besser ansteht. Am allerbesten verlasst Ihr Nürnberg gleich ganz.«
Die Männer nickten zustimmend, und ein besonders schmerbäuchiger, dessen Kinn in drei Ringen über dem Spitzenkragen lag, fügte noch an: »Für die mit der Hexenhand werdet Ihr sowieso niemals einen Mann finden, und Eure Zwillinge sind, so wurde uns glaubhaft versichert, zu kränklich, um für den Ehestand tauglich zu sein.«
Der Spitzbärtige fügte, immer noch rot im Gesicht, hinzu: »Welcher ehrbare Kartendruckergeselle würde eine Alte wie Euch schon ehelichen. Noch dazu eine«, er holte tief Luft, um dann mit allem Nachdruck zu sagen: »eine, deren Leib verflucht zu sein scheint.«
Dieser letzte Hieb brachte ihre Mutter zum Schwanken. Rosa spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Was die Mutter wegen ihr alles ertragen musste! Diese Art von Gemeinheiten hatten die Leute auch schon bei der Beerdigung des Vaters geraunt. Der Mutter wurde widerwillig das Beileid ausgesprochen, Rosa nur mit abfälligen Blicken bedacht. Als ob sie nicht am allermeisten um ihren Vater trauern würde, den einzigen Menschen, der sie je geliebt hatte.
Und es war nicht bei den Blicken geblieben. Schon auf dem Weg zum Leichenschmaus hatte sich das boshafte Zischeln der Schwätzerinnen ausgebreitet wie der Geruch nach frischem Blut am Schlachttag. Obwohl ihr Vater nur mit wenigen darüber gesprochen hatte, war man sich einig, dass der Vater nur deshalb vom Pferd gestürzt war, weil er für die verfluchte Tochter ein gar zu eitles Geschenk besorgt hatte. Immer wieder hatte Rosa versucht, das Geflüster zu ignorieren, aber Worte waren wie Staub: Sie drangen überall durch, bohrten sich in ihre Seele und setzten sich dort fest.
Und nun hatte es dieser Spitzbärtige gewagt, ihrer Mutter ins Gesicht zu sagen, was bis jetzt nur hinter ihrem Rücken getuschelt worden war. ›Teuflischer Krüppel‹.
Aber sie alle hatten etwas vergessen! Dorothea und ihren Sohn.
Ihre zehn Jahre ältere Halbschwester, die weder krank noch missgebildet war und die der Vater mit in die Ehe mit ihrer Mutter gebracht hatte. Der Gedanke an ihre geliebte Schwester gab Rosa Kraft, sogar ihr Finger wurde wieder wärmer. Und je wärmer er wurde, desto stärker wurde in Rosa das Gefühl, sie würde platzen, wenn sie nicht endlich gegen dieses Unrecht vorging. Es musste doch eine Möglichkeit geben, etwas gegen diese Männer auszurichten.
Aber was würde sie überzeugen?
Aus den Augenwinkeln ihrer mageren Mutter rann eine Träne, die diese mit einer ungeduldigen Handbewegung wegwischte. Sie war keine, die jammerte.
»Damit ist alles gesagt«, verkündete der Spitzbärtige gerade und schlug zur Bekräftigung auf den Tisch.
Die Raben erhoben sich.
»Nein!«, rief Rosa völlig verzweifelt, und obwohl ihr Herz wie rasend klopfte, wiederholte sie noch einmal und noch viel lauter: »Nein!«
Die Männer sahen sich verblüfft an, ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Schschsch«, sagte sie mit einer Handbewegung zu Rosa hin, als wollte sie eine lästige Taube verscheuchen.
Doch Rosa ließ sich nicht mehr zurückhalten. Alles, was ihr Vater aufgebaut hatte, sollten sie verkaufen, ja aus ihrer Heimat wegziehen? Ihr war, als könnte sie förmlich hören, wie ihr Vater mit der Faust auf den Tisch schlug. Aber der Vater war nicht hier, und die Männer wollten das ausnutzen. Wenn sie jetzt klein beigab, dann wäre das Verrat an dem einzigen Menschen, der sie niemals wie ein Monster behandelt hatte. Diese Gedanken und ihr Zorn gaben Rosa die Kraft, zu sprechen. Ja, sie musste sprechen!
»Ehrwürdiger Rat, diese Unwürdige möchte nur verhindern, dass Ihr ein großes Unrecht begeht.«
Die Ratsherren sahen sich an, zögerten.
Gut, dachte Rosa, die von ihrer Wut angetrieben wurde, aber noch gar nicht wusste, was genau sie vorbringen wollte.
Der mit der Stirnglatze ließ sich zuerst wieder auf seinen Platz sinken und forderte Rosa dann mit einem ungeduldigen Schnicken der Hand auf
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