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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beatrix Mannel
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ja, bisweilen sogar die Pfarrer in der Kirche. Und manchmal war es sehr schwer herauszufinden, welcher Teil der Rede gelogen war und was es zu bedeuten hatte. Nur bei ihrer Mutter hatte der sechste Finger noch nie reagiert. Warum also jetzt?
    Denn es war die reine Wahrheit, dass der Vater Rosa vor allen anderen bevorzugt hatte. Er war davon überzeugt gewesen, dass dieser elende Finger eine Laune der Natur war und keinesfalls ein Zeichen des Teufels.
    »Komm her, meine Tochter«, hatte er oft zu ihr gesagt und dann mit ihr zusammen das Blumenbuch der Sibylla Merian studiert. Die hatte er dermaßen verehrt, dass er Rosa und Dorothea jeweils einen Namen von ihr gegeben hatte. »Schau, Rosa«, hatte er beim Durchblättern des Buches erklärt und auf all die zarten Raupen und Kokons gezeigt. »In der Natur gibt es so viele Kuriositäten, und deine Hand ist auch nur eine davon. Gräme dich nicht, sieh es als etwas ganz Besonderes.«
    Warum tat ihre Mutter den Vater als Spieler ab, obwohl er ihnen dieses wunderschöne Haus gekauft und sich so liebevoll um sie gekümmert hatte? »Es ist nicht recht, so über den Vater zu reden.«
    »Es ist nur die Wahrheit.« Die Mutter senkte ihren Blick auf ihre Schale, griff wieder nach dem Löffel und aß etwas von der Suppe.
    Warum spüre ich dann meinen sechsten Finger?, fragte sich Rosa. Wenn sie nicht damals mit Dorothea immer und immer wieder ausprobiert hätte, was es mit diesem seltsamen Eiskaltwerden ihres sechsten Fingers auf sich hatte, dann würde sie jetzt zum ersten Mal daran zweifeln, dass er wirklich die Fähigkeit hatte, anzuzeigen, ob jemand log. Denn es war vollkommen unmöglich, dass ihre Mutter etwas anderes sagte als die Wahrheit.
    »Ich bin sicher, der Vater hätte gewollt, dass ich es versuche. Dorothea hat es auch geschafft.«
    »Aber sie war nicht allein.«
    »Wo ist denn überhaupt dieses Indien?«, fragte Maria.
    »Bei den Heiden am anderen Ende der Welt«, warf Toni ein, bevor Rosa etwas sagen konnte.
    »Weiter als Fürth?«, fragte Eva.
    »Ja, viel weiter.«
    »Weiter als Augsburg?«
    Rosa lächelte. »Ich werde es euch auf der Karte zeigen, die beim Vater in der Werkstatt hängt.«
    »Und was machen diese Heiden? Sind die gefährlich?«, fragte Maria. »Gibt es da Menschenfresser?«
    »Das sind Ungläubige, die eine Frau, wenn sie zur Witwe wird, bei lebendigem Leibe verbrennen«, ließ sich Toni vernehmen, die sich dann mit dem Löffel in der Hand bekreuzigte. Dabei tropfte Suppe auf den Tisch, was die Mutter mit einem missbilligenden Blick quittierte. »Schweig still, Toni«, zischte sie, »was redest du da? Du machst den beiden Angst.«
    »Wenn der Mann von Dorothea stirbt, wird Dorothea dann auch verbrannt?«, wollte Eva mit weit aufgerissenen Augen wissen.
    Die Mutter warf Rosa einen vernichtenden Blick zu. »Da siehst du, was du angerichtet hast.«
    Toni stand auf und begann, die Tonschalen abzuräumen. Sie brummelte vor sich hin. »Das hat der Herr Pfarrer bei der Messe erzählt, als sie letzten Sonntag Geld für die Mission gesammelt haben«, trumpfte sie auf.
    Rosa wusste, dass Toni recht hatte, denn von diesen Witwenverbrennungen hatte Dorothea in ihrem letzten Brief berichtet, und Rosa hatte ihn so oft gelesen, dass sie ihn beinahe auswendig konnte.
    Dieser Brief war mittlerweile aber auch schon wieder zwei Jahre alt.
    Ein mulmiges Gefühl breitete sich in Rosas Bauch aus, wenn sie daran dachte, wie Dorothea ihr die Reise nach Indien beschrieben hatte. Ihre Halbschwester hatte ausführlich von den Strapazen auf dem Schiff erzählt, wo die Frauen sich immer verborgen halten mussten und es, abgesehen von schlechtem Essen und Stürmen, nichts als brutale Matrosen, Dreck, Flöhe, Kakerlaken und Ratten gab. Auch wenn der Gedanke sehr schmerzhaft war, musste sie sich eingestehen, dass ihre Mutter recht haben könnte. Es war völlig undenkbar, so eine weite Reise ganz allein zu machen.
    Schweigend kratzten sie ihre Teller aus, die Mutter sprach das Dankgebet, dann half Rosa Toni beim Aufräumen und Abspülen. Dabei vermied sie es geschickt, den Handschuh an der linken Hand nass zu machen. Sie zog den Handschuh niemals aus, nicht einmal nachts.
    Toni wollte jedes Detail der Ratssitzung wissen, und besonders neugierig war sie darauf, was der Spitzbärtige gesagt und wie die Mutter darauf reagiert hatte. Als Rosa bei der Ohnmacht ihrer Mutter angelangt war, murmelte Toni empörte Kommentare vor sich hin. »Die Ärmste! Dieser spitzbärtige Dobkatz ist und

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