Die Hexengabe: Roman (German Edition)
beiden fast einen Hauch von Farbe in ihren sonst so blassen Gesichtern.
Die Mutter setzte sich auf die Holzbank, die unter dem winzigen Fenster neben dem langen, blank gescheuerten Tisch aus dunkler Eiche stand. »Toni, gib mir ein wenig Bier.«
Die Zwillinge platzierten sich rechts und links neben der Mutter. Trotz der jetzt unnatürlich geröteten Wangen fand Rosa, dass ihre Schwestern aussahen wie zwei Gerippe mit Hauben. Noch dazu schielte Maria, obwohl der Vater von einer Reise aus Italien einen merkwürdigen Apparat besorgt hatte, um ihr das Schielen abzugewöhnen. Er hatte aus ein paar walnussgroßen Silberblechen bestanden, die an einem Band befestigt waren und durch deren erbsengroße Löcher die arme Maria monatelang hatte schauen müssen, doch ohne jeden Erfolg.
Wie gut, dachte Rosa, dass wir wenigstens diese zwei Jahre beim Rat herausgeschunden haben. Zwei Jahre, in denen ihre Schwestern vielleicht endlich richtig gesund werden würden.
Aber was wurde nach den zwei Jahren? Wer würde diese beiden, die aufgrund ihrer ständigen Erkrankungen so viel jünger wirkten, als sie waren, schon heiraten? Und falls doch ein Wunder geschähe und eine von beiden würde sich verehelichen, wie würde sie eine Schwangerschaft und die Geburt überstehen? Und selbst wenn, wer konnte wissen, ob sie jemals Söhne gebären würden?
Nein, Rosa musste dafür sorgen, dass der Betrieb weiterlaufen konnte, allein schon, damit ihre Schwestern und ihre Mutter zu essen hatten und ein Dach über dem Kopf.
Toni goss Bier aus dem dunkelblauen Krug in einen braunen Steingutbecher. Die Mutter beeilte sich, das stark schäumende Bier abzutrinken, bevor es überlaufen konnte, kippte den Becher dann in einem Zug hinunter und brach endlich das gespannte Schweigen.
»Nun, der Rat hat nach unserer Eingabe eine Gnadenfrist von zwei Jahren gewährt.«
Eva und Maria brachen in freudiges Jubeln aus, sprangen auf und tanzten durch die Küche, was die Pfannen und Töpfe, die an der Esse aufgehängt waren, in leise scheppernde Bewegungen versetzte. Dann stürmten sie zu Rosa und umtanzten sie.
»Hört auf damit! Setzt euch wieder hin, und seid still! Das ist kein Grund zur Freude. Eure unselige Schwester hat behauptet, sie würde innerhalb dieser beiden Jahre nach Indien reisen und euren Neffen Kaspar, Johannes’ Enkel, nach Hause holen.«
Die Mutter seufzte und forderte Toni mit einem Kopfnicken auf, noch etwas nachzuschenken. Die Zwillinge hatten sich wieder hingesetzt, und alle zusammen starrten nun Rosa an.
»Und genau das werde ich tun! Ich werde es diesem ungerechten Rat zeigen! Wenn das der einzige Weg ist, um Vaters Werkstatt weiterführen zu können, dann muss und werde ich das schaffen. Es gibt kein Zurück mehr!«
Die Zwillinge verzogen ihre Münder. »Aber Rosa, wir wollen nicht, dass du weggehst. Ohne dich ist es so langweilig«, maulten sie, als ob sie nicht schon vierzehn Jahre alt wären.
»Sie wird nirgends hingehen«, Rosas Mutter schlug mit der Hand auf den Tisch, »denn das schickt sich nicht für eine Frau. Und wenn euch so langweilig ist, dann werden Toni und ich euch in der nächsten Zeit mit mehr Arbeit eindecken, als ihr euch das auch nur vorstellen könnt.«
»Aber Mutter. Ich muss diese Reise machen, nur dann bleiben uns diese zwei Jahre.«
»Dein Benehmen vor dem Rat war unmöglich. Rosa, wie oft habe ich dir schon gesagt, dass gerade du es mit der Wahrheit besonders genau nehmen sollst.« Die Mutter schüttelte den Kopf. Dabei hatte Rosa noch gar nicht widersprochen. »Gerade weil du mit diesem Zeichen geboren bist, solltest du dich umso mehr durch anständiges lutherisches Betragen hervortun statt durch teuflisches Lügen.«
»Was hat Rosa den Räten denn so Übles gesagt?«, wollte Toni wissen. Sie ging vom Tisch zurück zum Feuer, wo sie mit einem langen Holzlöffel in der Suppe rührte und einen kleinen Schluck probierte. Sie zwinkerte Rosa aufmunternd zu, und Rosa fühlte sich plötzlich besser. Ihre Mutter hatte eben nicht immer recht!
»Die Unselige hat behauptet, Dorothea wollte, dass sie käme, um Kaspar nach Hause zu holen.« Die Mutter bekreuzigte sich. »Das nennt man den Teufel versuchen. Jetzt bin ich sicher, dass ich meine Dorothea niemals mehr sehen werde.«
Meine Dorothea, dachte Rosa bitter. Dabei hatte der Vater Dorothea mit in die Ehe gebracht, und trotzdem war seine Tochter für die Mutter ihre Dorothea.
»Dein Vater hätte sie niemals diesem elenden Kaufmann zur Frau geben sollen.
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