Die Hexenjagd
Buch ein Teil von ihr. Und dieses dunkle Gefühl, das ihr immer vertrauter vorkam, breitete sich in ihrem ganzen Körper aus.
Cassie schauderte und schreckte aus dem Schlaf auf. Alles war still. Es war nur ein böser Traum, beruhigte sie sich. Aber von ihren Fingerspitzen bis zu ihren Handgelenken zog sich ein pochender Schmerz.
Es fiel ihr schwer, den Schalter ihrer Nachttischlampe zu betätigen. Als es ihr endlich gelang, offenbarte das Licht einen erschreckenden Anblick: Die Brandwunden auf ihren Händen, die sie über Nacht ohne Verband gelassen hatte, leuchteten in einem schockierenden Dunkelrot. Und auf der Innenseite ihrer linken Hand prangte ein grausam aussehender Striemen. Eine neue Wunde.
Aber das Buch lag in der verschlossenen Truhe– unmöglich, dass Cassie es tatsächlich berührt hatte. Oder?
Sie stand auf und tauchte unter ihr Bett. Sie hatte die Metalltruhe an einer bestimmten Stelle platziert, parallel zu einer schwachen Linie auf einem der Dielenbretter, damit sie sofort erkennen konnte, falls jemand sich daran zu schaffen gemacht hatte.
Die Truhe war immer noch an Ort und Stelle, immer noch verschlossen. Als Nächstes überprüfte Cassie ihren Schmuckkasten. Der Schlüssel lag unschuldig in dem Geheimfach, neben der Chalcedonrose, genau wie sie ihn zurückgelassen hatte.
Andererseits musste Cassie das Buch in Händen gehalten haben– wie sonst ließ sich diese erneute Verletzung erklären? Und sie war davon überzeugt, tatsächlich in dem Buch gelesen zu haben. Sie fühlte sich irgendwie anders. Eine seltsame Energie floss durch ihre Adern. Sie spürte eine neue Stärke. Eine neue Macht.
Am nächsten Morgen erwachte Cassie erst, als ihre Mutter die Vorhänge in ihrem Zimmer aufzog und den Sonnenschein hereinließ. »Du hast aber einen tiefen Schlaf«, bemerkte ihre Mutter. »Du hast einfach deinen Wecker überhört.«
Cassie verbarg ihre verbrannten Hände unter der Decke.
»Deine Freunde waren vor einer Stunde hier«, fuhr ihre Mutter fort. »Aber ich habe sie nach Hause geschickt.«
Cassie richtete sich auf und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. »Du hast sie nach Hause geschickt? Aber wir wollten eine Versammlung abhalten.«
»Ich hatte den Eindruck, dass du dringend Ruhe brauchst.« Ihre Mutter tätschelte Cassie und setzte sich neben sie. »Aber ich habe deinen Freunden von dem geheimen Zimmer im Keller erzählt und von Fayes Mutter und Laurels Vormund bereits die Erlaubnis bekommen, dass die beiden hier übernachten dürfen. Alles ist geregelt. Eine Sorge weniger für dich.«
Cassie hatte einen trockenen Mund und einen schweren Kopf, aber sie war wach genug, um zu erkennen, dass ihre Mom sie unterstützte wie nie zuvor. Im Grunde hatte sie Cassie bei der Zirkelversammlung vertreten und eigenständig erledigt, was auf der Tagesordnung gestanden hatte. Ihre Mom, dieselbe Frau, die sich noch ein Jahr zuvor geweigert hatte, das Wort Hexerei auch nur auszusprechen. »Und noch etwas«, fuhr sie jetzt fort. »Du und deine Freunde, ihr werdet zum Frühlingsball gehen. Es ist beschlossene Sache.«
Für eine Sekunde dachte Cassie, dass sie erneut träumte, aber dann bemerkte sie das verschmitzte Lächeln ihrer Mutter. »Ach tatsächlich?«, sagte Cassie. »Der Zirkel hat das also beschlossen. Natürlich ohne, dass du deine Finger im Spiel hattest.«
»Schuldig im Sinne der Anklage.« Ihre Mutter hob abwehrend die Hände. »Aber ich finde, ihr habt euch wirklich eine Pause verdient. Und der Ball wird euch daran erinnern, dass ihr die Highschool besucht– das sollten eigentlich die besten Jahre eures Lebens sein.«
Stimmt, dachte Cassie. Sie ging auf die Highschool. Aber zugleich lag in ihren Händen das Leben anderer. Ganz zu schweigen von ihrem eigenen Leben.
»Hast du Hunger?«, erkundigte sich ihre Mutter und wechselte das Thema, bevor Cassie gegen die Teilnahme am Ball protestieren konnte. »Du musst Hunger haben, es ist schon fast Mittag. Ich werde uns etwas zu essen machen.«
Sie war bereits durch die Tür, als Cassie ihr nachrief: »Danke, Mom.« Cassie wusste, welches Glück sie hatte, nicht nur eine Mutter zu haben– im Gegensatz zu den meisten ihrer Freunde–, sondern ihre Mutter zu haben.
Dann ließ Cassie den Kopf wieder in die Kissen sinken und überlegte. Sie musste Adam von dem Traum der vergangenen Nacht erzählen– falls es überhaupt ein Traum gewesen war. So erschöpft sie sich auch fühlte, verspürte Cassie dennoch den unablässigen Drang, sich das
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