Die Hexenjagd
Mutter ungläubig an. »Du nimmst mich wohl auf den Arm.«
Ihre Mutter lachte. »Deine Großmutter hat ihn gebaut, vor sechzehn Jahren, als die Spannungen zwischen den Städtern und den Hexen immer größer geworden waren, kurz vor dem Sturm, bei dem so viele Menschen ihr Leben gelassen haben.« Sie machte eine feierliche Pause. »Wie die Eltern so vieler deiner Freunde. Deine Großmutter hat den Raum mit einem speziellen Schutzzauber versehen. Komm mit, ich werde ihn dir zeigen.«
Cassie folgte ihrer Mutter zur Kellertreppe. »Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?«, fragte sie.
»Bis jetzt war es nicht nötig gewesen.« Cassie folgte ihrer Mom durch den dunklen Keller, der nach Moder und Schimmel roch. Vor einem alten Bücherregal blieben sie stehen. »Bis jetzt .«
Ihre Mutter hob die Arme und legte die Hände auf eins der staubigen Regalbretter. »Ich bin zwar ein wenig eingerostet«, fuhr sie fort. »Aber ich kann es versuchen.« Sie schloss die Augen und konzentrierte ihre Energie auf das Bücherregal. Dabei drang in trägem Tonfall, den Cassie noch nie zuvor bei ihr gehört hatte, ein Singsang über ihre Lippen:
Verzauberte Schwelle,
Unbenannte Tür,
Offenbare mir,
Was sich hinter dir
Verbirgt.
Der Rahmen des Bücherregals begann zu leuchten, als sei gerade die Sonne durch eine dichte Wolkendecke gebrochen, und dann erschien eine Tür. Cassie traute ihren Augen kaum. Es war eine magische Öffnung– ein sich kräuselndes Portal inmitten der Regalbretter und gerade groß genug, um hindurchzutreten.
»Nach all den Jahren habe ich den Bogen immer noch raus«, freute sich Cassies Mutter voller Stolz. »Nur zu, tritt ein.«
Cassie schritt vorsichtig über die Schwelle und sah sich um. Der Raum war so groß wie eine Einzimmerwohnung und vollständig möbliert. Das gusseiserne Bett, die Lampen mit den selbst gemachten Schirmen und das Sofa wirkten zwar altmodisch, verliehen dem Raum aber zugleich eine gewisse Eleganz. Wie ein Salon aus dem 19.Jahrhundert, dachte Cassie.
»Hier muss mal ordentlich Staub gewischt werden, so viel steht fest«, bemerkte ihre Mutter. »Aber das Zimmer wird seinen Zweck erfüllen. Sollen wir es für deine Freundinnen herrichten?«
Cassie nickte. Es gab eine Kochnische und ein Badezimmer und im Wohnbereich stand sogar ein alter Fernseher. »Es ist perfekt«, sagte Cassie. »Vielen Dank.«
Sie verloren keine Zeit. Cassies Mutter holte sofort alles Putzzeug herbei, das sie besaßen. Und dann zogen sie das Bett ab und saugten den Teppich, schrubbten das Badezimmer und die Arbeitsflächen der Küche und Cassie brachte frische Wäsche herunter und ein paar Lebensmittel für den Kühlschrank. Faye und Laurel werden begeistert sein, dachte sie. Es war der beste geheime Übernachtungsplatz, den man sich vorstellen konnte.
Als sie fertig waren, drückte Mrs Blake ihre Tochter liebevoll an sich, bevor sie nach oben zurückging. Kaum war Cassie allein, kam ihr sofort wieder das Buch ihres Vaters in den Sinn. Sie musste unbedingt herausfinden, wo es war.
Sie sah sich genauer in dem geheimen Raum um. Ihre Mom verstand es wirklich meisterhaft, Geheimnisse zu hüten. Wie sollte Cassie bloß jemals herausfinden, wo sie das Buch versteckt hatte? Es konnte überall sein.
Doch dann enthüllte sich ihr die Antwort wie ein Geschenk. Das Zimmer war mit einem Schutzzauber belegt . A lso konnte Cassie in aller Ruhe einen Zauber wirken, um das Buch aufzuspüren, ohne Angst davor, von ihrer Mutter ertappt zu werden– oder von den Jägern.
Sie lauschte einen Moment, um sicherzugehen, dass niemand die Treppe herunterkam, dann kniff sie die Augen fest zusammen. Sie konzentrierte sich und flüsterte eine einfache Beschwörung:
Buch der Schatten, komm herbei,
Zeig dich mir und werde frei.
Zuerst geschah gar nichts. Aber dann spürte Cassie mit einem Mal ein eigenartiges Ziehen an der Kehle, einen Sog, der von der Kette um ihren Hals ausging. Rasch nahm sie die Kette ab und hielt sie vor sich hin. Der zitternde Anhänger war aus rosafarbenem Quarz. Ein Hellseherstein. Vermutlich hatte er Spuren der Energie des Buches aufgefangen.
Cassie ließ den Anhänger baumeln und beobachtete, wie der zierliche Kristall sich schließlich in eine bestimmte Richtung drehte. Bald schlug die Kette immer weiter aus, wie ein Pendel.
Cassie machte vorsichtig ein paar Schritte in die Richtung, in die der Stein sie führte– zunächst fast bis zur Tür, dann auf das Sofa zu. War es möglich, dass ihre
Weitere Kostenlose Bücher