Die Himmelsbraut
etwas wie Neid auf diese Frauen, die sich so mir nichts, dir nichts ihre Freiheiten herausnahmen.
Schließlich sprach Antonia vor versammeltem Konvent Mutter Camilla darauf an: Ob dies denn noch mit den Regeln des Benedikt vereinbar sei. Dabei entgingen ihr nicht die giftigen Blicke, die die dicke Xenia und die herausgeputzte Florentina ihr zuwarfen.
«Deine Bedenken mögen dir zur Ehre gereichen», entgegnete die Priorin mit jenem süßlichen Lächeln, dass sie immer dann aufsetzte, wenn ihr etwas missfiel. «Doch die Regel des heiligen Benedikt richtet sich unmissverständlich gegen das ziellose Umherschweifen der Bettel- und Wandermönche. Wir indessen haben hier unsere feste Burg, unsere Gemeinschaft, unsere Wurzeln. Und wo es notwendig ist, öffnen wir die Türe nach innen und nach außen.»
Nach innen wurde sie fürwahr immer offenherziger geöffnet. Nicht nur ins Haus der Priorin strömten die Gäste – ein Vorrecht, das Mutter Camilla durchaus zustand –, sondern auch ins Novizenhaus. Hierzu karrten die Klosterknechte Unmengen von Fleisch, Fisch und Geflügel, von Brot und eingelegten Früchten, Zucker und fremdländischen Gewürzen aus den Vorratskellern in die Küchen. Fast immer waren Männer unter den Gästen, die wenigsten davon Geistliche, sondern Edelleute, Ratsherren oder sogar Scholaren. Sie kamen in Kutschen angefahren oder zu Pferd, und aus den offenen Fenstern hörte Antonia dann lautes Lachen oder fröhlichen Gesang, der mitnichten geistlicher Natur war. An manchen Tagen gaben sich die Besucher an der Haustür zum Garten hin geradezu die Klinke in die Hand.
«Ganz nach den Worten Jesu Christi:
Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen
», spottete Ursel, als sie zu Antonias Freude frische Bettwäsche ins Dormitorium brachte. Viel zu selten bekam sie die einstige Zimmergenossin zu Gesicht, die auch hier als Wäscherin arbeitete. «Und alle, alle werden sie von uns verköstigt», fuhr Ursel fort. «Ich will gar nicht wissen, mit was für Leckereien die sich das Maul stopfen.»
Antonia, die ihr half, das neue Laken übers Bett zu spannen, hielt inne und sah die Laienschwester besorgt an.
«Weißt du, was das Schlimmste dabei ist? Die Armenverpflegung wird von Mal zu Mal gekürzt. Meine Schwester muss bei der Küchenmeisterin um jeden Kanten Brot kämpfen.» Sie lauschte zum Fenster hinaus, wo ein Kutscher mit lautem Ho-Ho seine Pferde antrieb. «Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Äbtissin in Marienau zu benachrichtigen.»
«Du willst Mutter Camilla anschwärzen?»
«Nein – nicht anschwärzen. Ich möchte nur die Wahrheit berichten.»
«Aber – jedes Schreiben geht durch die Hände unserer Priorin.»
«Nicht wenn du es bei deinem nächsten Gang nach Kaltenmatt einem Boten übergeben würdest. Ich müsste nur noch das Geld hierfür auftreiben.»
31 Freiburg, Sommer 1524
H ast du schon gehört?» Egbert war, ohne anzuklopfen, ins Zimmer gestürmt. «Drüben in Kenzingen haben sie dem Bürgermeister den Kopf abgeschlagen.»
«Was?» Phillip fuhr von seinen Notizen für die bevorstehende Prüfung auf.
«Ja! Freiburg hat eine Garnison von hundertfünfzig Mann nach Kenzingen gesandt, um dort für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Die arme Seele von Bürgermeister hat’s nicht überlebt – und das nur weil er sich als Parteigänger des Kenzinger Stadtpfarrers bekannt hat.»
«Ich dachte, Pfarrer Otther sei nach Straßburg geflohen?»
Egbert zog ihn von seinem Schreibpult weg. «Kein Wunder, dass du nichts mehr mitbekommst. Vergräbst dich ja nur noch in deiner Paukerei.»
Damit hatte sein Freund nicht ganz unrecht. Die letzten zwei Wochen hatte Phillip jeden Abend in seinem Studierzimmer verbracht. Dennoch war auch ihm nicht entgangen, wie sich die Stimmung zumindest an der Universität in letzter Zeit verändert hatte. War die Albertina bislang von Humanismus geprägt und damit offen für die neuen Lehren Luthers gewesen, so gaben die Gelehrten nach und nach klein bei unter dem Druck der erzkatholischen Habsburger und ihrer vorderösterreichischen Regierungsleute. Erst im Mai war Erzherzog Ferdinand persönlich auf Visite gekommen und hatte von der Universität ein Gutachten gegen die neue Lehre gefordert. Zugleich hatte er darauf gedrängt, Neugläubige unter den Scholaren und Lehrkräften nicht mehr zu dulden. Den Freiburger Rat hatte er bereits auf seiner Seite, und bald schon waren die Bürger vom Magistrat dazu aufgerufen, tapfer zu vermelden, wer öffentlich von der
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