Die Himmelsbraut
lutherischen Lehre spreche.
Noch allerdings verwahrten sich ihr Rektor und der Senat gegen derlei Gängelei der Wissenschaften. Man machte keine Anstalten, die Mitglieder der Albertina einer Gewissenskontrolle zu unterziehen oder die Anweisung zu befolgen, Luthers Schriften zu verbrennen. Im Gegenteil: In aller Schärfe hatte man sich beim Magistrat gegen das Anprangern durch einige Bürger beschwert. Was die Freiburger offensichtlich aber nicht daran hinderte, andernorts auf eigene Faust nach dem Rechten zu sehen. So wie jetzt im benachbarten Kenzingen, wo man mit Waffengewalt gegen die Neugläubigen ging. Und das, obwohl der lutherische Prediger Jakob Otther längst freiwillig das Feld geräumt hatte.
«Wirst sehen – bald werden auch bei uns die ersten Köpfe rollen.»
«Du spinnst!» Phillip schüttelte den Kopf.
«Zumindest sinnbildlich. Der Wind hat sich gedreht.» Aufgebracht wanderte Egbert in dem kleinen Zimmer hin und her. «Lonitzer und Sichard sind schon gegangen. Die Herren Professoren haben den Druck nicht ausgehalten. Und unser großer Meister Engelbrecht hat der neuen Lehre jetzt öffentlich abgeschworen. Und das, wo grad bei ihm die Lutheraner wie in einem Bienenkorb ein und aus geschwärmt sind.»
«Davon hab ich tatsächlich nichts mitbekommen», murmelte Phillip. Er kannte den kränklichen Dichter und Professor Philipp Engelbrecht vom Sehen, da der Blick aus seinem Fenster geradewegs auf dessen prächtiges Haus Zum schwarzen Brief ging.
«Und was ist mit Zasius?»
Egbert schnaubte. «Zasius wird der Nächste sein, der Luthers Lehren öffentlich abschwört. Die Rede hat er schon vorbereitet, und in seinem Hause darf man den Namen Luther nicht mal mehr erwähnen. – Komm, lass uns rausgehen. Bei dir muffelt’s mir zu sehr nach Scholastik und lateinischer Verslehre.»
Draußen in den Gassen stand die heiße Luft. Kein Windhauch brachte Abkühlung, obwohl es bereits Abend wurde. Zu Phillips Überraschung führte sein Freund ihn nicht in den Salmen, sondern marschierte weiter durchs Obertor hindurch, das jetzt im Sommer noch gut zwei Stunden geöffnet sein würde.
«Wo willst du hin?»
«Dir eine kleine Erfrischung bieten. Wir sind schon da.»
Auf der Uferwiese links der Langen Brücke tummelte sich ein gutes Dutzend junger Burschen; manche lagen faul in der Abendsonne, andere tobten kreischend wie Kinder im Wasser herum. Die meisten trugen nur ein kurzes, loses Hemd, manche waren gänzlich nackt.
«Na – wagt sich unser Bücherwurm mal wieder ans Tageslicht?», spottete Joachim Schiller und warf mit einem Grasbüschel nach Phillip. Der beachtete ihn nicht.
«Seit wann geht ihr abends nicht mehr in den Salmen?», fragte er seinen Freund.
Egbert grinste. «Seitdem wir dort Hausverbot haben. Aber das muss uns nicht kümmern.»
Er deutete auf zwei Bierfässchen, die im Gras lagen. An einem davon mühte sich Bertschi vergebens, den Krug zu füllen.
«Das Fass ist leer, du Strohkopf.» Egbert nahm seinem Studiengenossen den Krug aus der Hand. «Außerdem solltest du beim Eingießen den Deckel aufklappen.»
«Blas mir doch in den Schuh!» Bertschi ließ sich rücklings ins Gras fallen und begann, alle viere von sich gestreckt, das Weihnachtslied
Ach lieber Herre Jesu Christ
zu singen.
Phillip musste lachen. Irgendwie war es schön, mal wieder mit den alten Gefährten zusammen zu sein. Noch dazu hier draußen an der Dreisam, an diesem warmen Sommerabend. Er streifte sich rasch Schuhe und Kleider ab und lief zum Wasser.
«So warte doch, Phillip, ich komm mit.»
Das Wasser war kalt und reichte nur bis zur Hüfte. Prustend tauchte Phillip unter, die Kälte nahm ihm im ersten Moment fast den Atem, aber sie vertrieb augenblicklich alle Anspannung und Müdigkeit aus seinen Gliedern. Als er wieder auftauchte, stand Egbert vor ihm und warf ihn zurück in die Fluten.
«Das zahl ich dir heim.» Phillip rappelte sich hoch, zog dem andern die Füße weg, dann sprangen der Rappoltsteiner Georg und Joachim Schiller hinzu, und eine kindische Balgerei begann, dass es nur so spritzte.
«Ich kann nicht mehr», japste Egbert. Einmal noch tauchte Phillip ihn unter, dann entfloh er ans Ufer. Die anderen verfolgten ihn, bis sie alle vollends außer Atem waren und sich schließlich splitterfasernackt nebeneinander auf die Wiese warfen. Georgs Bruder Ulrich brachte ihnen einen wohlgefüllten Bierkrug.
«Ist das Leben nicht schön?» Joachim prostete einem Fuhrmann zu, der sein Gefährt eben über den nahen
Weitere Kostenlose Bücher