Die Himmelsbraut
Sakristanin warst.»
Euphemia ließ ihre Hacke sinken. «Das solltest du besser unsere Subpriorin fragen. Sie ist schließlich für die Kirchenbücher verantwortlich.»
«Ich möchte lieber dich fragen. Dir vertraue ich.»
Das faltige Gesicht Euphemias hellte sich kurz auf. Sie nahm Antonia beim Arm und zog sie in den Schutz einer Reihe von Haselbüschen, weit genug weg von Friedhofsmauer und Kirche.
«Dann will ich dir die Wahrheit sagen. Unser Kloster ist nur nach außen hin verarmt und verlottert. Du solltest mal deine Nase in die Kommoden und Truhen drüben im Novizenhaus stecken. Da wüsstest du, wo all das Vermögen steckt, das wir dringend zur Instandsetzung der Kirche und der Gebäude bräuchten.»
Antonia betrachtete Euphemias zerschlissene, am Saum geflickte Tunika und dachte zugleich an das löchrige Schuhwerk der Gartenmeisterin.
«Und für neue Kleidung. Zumindest für einige von euch», sagte sie.
Euphemia winkte ab. «Ich brauch nichts Neues. Hauptsache, ich habe es warm im Winter. – Aber ist dir aufgefallen, wie armselig unsere Kirche ausgestattet ist? Ich weiß, bei euch Cisterciensern ist ohnehin alles schlicht gehalten, aber hier bei uns sah das nicht immer so erbärmlich aus. Dass die schönen Wandmalereien überall abgeblättert sind, hast du ja selbst bemerkt. Aber ich kann mich noch erinnern, dass wir einst eine von Künstlerhand geschnitzte Schauwand hinter dem Hochaltar hatten, die den Einzug Christi in Jerusalem zeigte. Wie oft bin ich als Kind staunend davor gestanden, jedem einzelnen Gesicht schien Leben eingehaucht, und der Esel sah aus, als würde er gleich aus dem Holz herausspringen. Du musst wissen, ich bin die Älteste hier, zusammen mit der Pförtnerin. Wir sind beide schon als Kinder hergekommen.»
«Was ist damit geschehen?», fragte Antonia ungeduldig.
«Die Schauwand war eines Tages weg. Einfach verschwunden. Genau wie die Buntglasfenster im Refektorium. Wir waren einst durchaus gut bestückt mit liturgischen Gerätschaften, mit silbernen Kelchen und Altarleuchtern, vergoldeten Messkännchen, einem silbernen Prachtkreuz über dem Kreuzaltar, sogar ein mit Edelsteinen besetztes Vortragekreuz hatten wir – alles ist nach und nach weggekommen. Verkauft und verpfändet angeblich, um Schulden zu begleichen. Aber ich glaube etwas anderes.» Sie sah Antonia verschwörerisch an.
«Was?»
«Dass die Dinge gestohlen sind.»
«Schon in deiner Zeit als Sakristanin?»
Sie nickte. «Unser Kirchenschatz ist regelrecht zusammengeschrumpft. Grad dass uns noch das Heiligkreuz-Reliquiar geblieben ist.»
Antonia hatte die wertvolle Reliquie beim Fest der Kreuzauffindung gesehen, das kurz nach ihrer Ankunft mit einer Prozession rund um das Kloster begangen worden war. Das in Gold und blauem Email kunstvoll gefertigte Kreuz enthielt eine Glaskapsel mit einem Holzsplitter vom Kreuze Jesu. Damals war Magdalena beim Beschauen des Heiligtums in Tränen ausgebrochen und schier nicht mehr zu beruhigen gewesen.
«Und du hast nichts dagegen unternommen?», fragte sie fassungslos.
«Was hätte ich tun sollen? Ich hatte keine Beweise, und in die Geschäftsbücher habe ich keinen Einblick. Und mich mit unserer Mutter Oberin zu besprechen hätte auch keinen Sinn gehabt. Sie war immer schon krank und mit ihrem Amt restlos überfordert. Außerdem, wenn du mich fragst …» Sie zuckte die Schultern. «Unser Herrgott erwartet gar keinen Prunk und Protz auf seinem Altar, sondern vielmehr dass wir Menschen ihm unser Herz öffnen.»
Antonia dachte darüber nach, was sie eben erfahren hatte. Höchstwahrscheinlich hatte Schwester Columbina, als Subpriorin und Hüterin der Bibliothek, eigenhändig die Seiten aus dem Inventar herausgetrennt. Sie darauf anzusprechen würde bedeuten, sich in die Höhle des Löwen zu wagen und womöglich nicht mehr heil herauszufinden.
In diesem Augenblick tönten aus dem Inneren des Kirchenschiffs aufgebrachte Rufe herüber. Euphemia griff nach ihrem Arm. «Was ist das für ein Geschrei?»
«Gehen wir nachsehen.»
Als sie das Türchen der Totenpforte öffneten, die die Chorhalle mit dem Friedhof verband, fanden sie dort die Subpriorin und Schwester Xenia, die dicke Küchenmeisterin, vor, beide schwer atmend und außer sich. Die Tür hinter ihnen, die auf den Kreuzgang führte, stand offen, und die ersten neugierigen Gesichter tauchten im Türrahmen auf. Dann hörte Antonia ganz in ihrer Nähe ein Wimmern: «Nicht schlagen! Bitte nicht schlagen!»
Franz, Peters
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