Die Himmelsbraut
hergekommen bist, um ihren Aufenthaltsort zu erfahren und sie womöglich aufzusuchen, muss ich dich enttäuschen. Dann bist du umsonst gekommen.» Er gab Phillip einen liebevollen Klaps gegen die Schulter. «Und nun komm, mein Sohn. Lass uns noch einen Rundgang durch das Gestüt machen. Kilian wird sich freuen, dich wiederzusehen.»
Phillip zögerte.
«Da ist noch etwas anderes, Vater», sagte er dann. «Kurz nach dem Überfall war ich noch einmal an der Stelle, wo es geschehen ist. Das hier habe ich unter einem Busch gefunden.»
Er zog den Dolch aus dem Gürtel und konnte nicht verhindern, dass seine Hände zitterten, als er ihn auf die Tischplatte legte. Das schräg geteilte Wappen mit dem Fels auf dem einen, dem Baum auf dem anderen Feld war deutlich zu erkennen.
Sein Vater erbleichte. «Das ist ein Dolch von uns!»
Phillip nickte. «Wie kann das sein? Haben etwa unsere Männer etwas mit dieser Gräueltat zu tun? Ich bitte Euch, um Antonias Vater und ihres Bruder willen: Versucht herauszufinden, ob dem so ist.»
Plötzlich wirkte sein Vater aufgebracht: «Was sind das für Hirngespinste? Meine Leute habe ich im Griff, sie sind mir treu und ergeben. Im Übrigen kann der Dolch bei irgendeinem Kampf in die Hände von Feinden gelangt sein, oder aber jemand hat ihn verloren, und er lag schon seit Ewigkeiten dort.»
Letzteres aber wusste Phillip besser. Der Dreck von Klinge und Heft war viel zu leicht abzureiben gewesen. Doch er schwieg. Es hatte ohnehin alles keinen Sinn.
12 Abtei Marienau, im Winter 1520 / 21
E
rgo»,
Petronella von Landeck unterstrich jedes ihrer Worte mit einem energischen Schwingen ihres Stöckchens,
«oportet nos laborare pro bono fundamento et totis viribus insistere docmati …»
Sie unterbrach sich und ließ das Stöckchen sinken.
«Vrena, komm nach vorn zu mir», befahl sie mit kummervoller Stimme und zur Überraschung aller auf Deutsch. Ihr ohnehin faltiges Gesicht sah jetzt noch zerknitterter aus. «Ich wette, du hast kein Wort verstanden.»
«Das stimmt, ehrwürdige Mutter Petronella», erwiderte Vrena, stellte sich in die angewiesene Ecke und senkte den Kopf. Nicht so tief jedoch, dass sie nicht Antonia hätte zublinzeln können.
«Du bist noch schlechter in Latein als unsere beiden Kleinen!»
Damit waren die jüngsten Novizinnen gemeint, zwei Mädchen aus gräflichem Hause, die hier im Kloster gerade erst Lesen und Schreiben gelernt hatten. Die beiden waren die Einzigen, die mit einem
Cum Jesu licencia
ihre Fragen auf Deutsch stellen durften.
«Ich weiß, Mutter Petronella. Verzeiht», sagte Vrena, diesmal in korrektem Latein. Was bei dieser kurzen Antwort nicht allzu schwer war.
«Nun, dann wiederhole ich eigens für dich auf Deutsch: So also geziemt es sich für uns, ein gutes Fundament zu erarbeiten und uns mit allen Kräften um die grammatischen Regeln zu bemühen. – Dies gilt auch für dich, Vrena. Oder willst du noch ewig im Chor stehen und singen und beten, ohne ein einziges Wort zu verstehen?»
«Nein, ehrwürdige Mutter Petronella.»
«So verpflichte ich dich denn, werktags nach dem Mittagessen zwei Stunden lateinische Grammatik zu üben, hier in der Schulstube, zusammen mit Antonia. Gleich heute fangt ihr an. Die Laienmeisterin habe ich hiervon bereits unterrichtet.»
Dann fuhr die Magistra fort in ihrem lateinischen Sermon über die Bedeutung der Gelehrtensprache für das geistliche Leben. Antonias Wangen glühten derweil vor Freude und Stolz über ihre Aufgabe, Vrena im Lateinischen unter die Arme zu greifen. Das kam einem großen Lob gleich. Sie schielte zu ihrer Schwester, um zu sehen, wie sie diese Auszeichnung aufgenommen hatte, doch Magdalena zeigte keine Regung, war ganz auf die Worte der Magistra konzentriert. Antonia spürte, wie Ärger in ihr hochstieg.
Einerlei – nun zahlte sich der quälend langweilige Unterricht bei Kammerfräulein von Fleckenstein doch noch aus, diese schier endlosen Stunden, in denen sie ihnen das Lesen und Schreiben in Latein anhand von Psalmen und Gebeten beigebracht hatte. Auch in Musik und Gesang waren sie von ihr unterrichtet worden, dazu ein wenig Addition und Subtraktion mit Hilfe des Abakus. Alles Dinge, die Mutter Petronella bei den älteren Klosterschülerinnen voraussetzte, die indessen nur von Antonia und Magdalena erfüllt wurden. Antonia erinnerte sich noch gut daran, wie sie als Kind gegen die Schulstunden aufbegehrt hatte, wie sie gescholten hatte, warum in aller Welt ein Mädchen außer Lesen, Schreiben
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