Die Himmelsbraut
wenig mehr Ernst und Besinnlichkeit möchte ich doch sehr bitten.»
Enttäuscht war Antonia an ihren Platz zurückgekehrt. «Du solltest immer vorlesen», hatte ihre Zimmergenossin Ursel ihr zugeraunt. «Da schläft man wenigstens nicht ein beim Zuhören.»
Auch wenn sie dieses Lob getröstet hatte: Die nächsten beiden Tage, ihre einstweilig letzten als Lektorin, leierte sie den Text herunter, als gebe sie eine Rezeptur zum Bierbrauen wieder – und das sogar anlässlich des grauenvollen Schicksals der Märtyrerin Fides, die nur dreizehnjährig ihres christlichen Glaubens wegen auf einem glühenden Rost gemartert und enthauptet worden war.
Sofern sie nicht zum Küchendienst eingeteilt waren, durften sie sich nach dem Mittagessen zu einer Ruhepause zurückziehen, denn die Nachmittage waren lang und mit Arbeit ausgefüllt. Dabei wurden Vrena und sie zu den unterschiedlichsten Tätigkeiten herangezogen, wenn auch meist getrennt, um «unsinniges Geschwatze», wie es die Laienmeisterin ausdrückte, zu unterbinden. Sie mussten Wäsche waschen, Unkraut jäten, beim Brotbacken helfen, Schuhe putzen und Kleidung flicken oder das Federvieh versorgen. Dabei wurden Psalmen und Rosenkranzgesätze gebetet oder auch heilige Texte vorgelesen.
Am liebsten hielt sich Antonia im Obst- und Gemüsegarten auf, drüben im Wirtschaftshof, wo immer etwas Neues wuchs und gedieh. Hier war die Welt wieder hell und leicht, trotz der Mauern rundum. Wenn sie nämlich die Augen schloss, konnte sie sich vorstellen, über die Vorberge des Schwarzwaldwalds zu wandern. Wie liebend gerne wäre sie einmal mit den Laienschwestern hinaus auf die Felder, in die klostereigenen Weinberge und Auwälder – das indessen war ihnen als Kandidatinnen verwehrt, wohl in der Befürchtung, sie könnten auf und davon laufen.
Die übliche Haus- und Putzarbeit war Antonia eher zuwider, da ging sie schon lieber zu Ursel ins Waschhaus, selbst wenn einem da die Hände rot und rissig wurden. Ihre Zimmergenossin, eine kräftige Frau mit tiefen Grübchen in den rosigen Wangen, die im Kloster als Wäscherin arbeitete, hatte ein forsches Mundwerk und brachte sie oft zum Lachen. Außerdem erfuhr sie von ihr einiges an Klatsch und Tratsch, da sie die meiste Zeit allein im Waschhaus waren. So brachten diese Stunden trotz der harten Arbeit viel Kurzweil und lenkten Antonia ab von ihrem Heimweh, das doch immer wieder mit eisernen Klauen nach ihr griff.
Nach einer Erholungspause, in der sie angehalten waren, in sich zu gehen oder still zu beten, war es Zeit für das Nachtmahl, wo ihnen ein Krug Milch mit einem Halbpfünderbrot vorgesetzt wurde. Nach zwei weiteren Stunden Arbeit fanden sie sich in der Kirche zum Abendgebet ein, danach galt für alle im Kloster bis zum Morgen das nächtliche Stillschweigen. Zu ihrem Glück erschien Käthe abends meist als Letzte in ihrer Schlafkammer, da sie als Schließerin die Aufgabe hatte, alle Türen und Fenster in ihrem Gebäude zu überprüfen. Bis dahin nutzten Antonia, Ursel und Vrena die Gelegenheit, sich noch einmal über den vergangenen Tag auszutauschen, im Dunkeln und behaglich in ihre warmen Decken gehüllt.
Wenn es eines gab, was Antonia innerhalb kürzester Zeit gelernt hatte, dann war es, sich an den kleinsten Freuden festzuhalten: an einem aufmunternden Wort der Äbtissin, einem freundlichen Blick ihrer Schwester, einem Scherz mit der Wäscherin Ursel, einer Neckerei mit Vrena, die ihr immer vertrauter wurde. So kam endgültig der Herbst ins Land, und fast hätte sie sich in ihr neues Leben fügen können, wäre da nicht immer noch die Sehnsucht nach Phillip gewesen. Zum Abschied hatte sie nämlich Ritter Markwart das Versprechen abgerungen, seinem Sohn Grüße zu bestellen, ihm auszurichten, wie sehr sie sich über einen Besuch des alten Freundes aus Kindertagen freuen würde. Markwart von Holderstein hatte zwar genickt, war aber ihrem Blick ausgewichen. In der Hoffnung, selbst einmal ans Sprechgitter des Besucherzimmers gerufen zu werden, hatte sie sich von Woche zu Woche gehangelt. Doch diese Gunst traf immer nur die anderen.
11 Burg Holderstein, zu Martini 1520
D as ist nicht wahr!» Phillip sprang von der Bank auf und hätte dabei ums Haar die Weinkaraffe umgestoßen. «Sagt mir, dass das nicht wahr ist! Antonia würde nie und nimmer freiwillig in ein Kloster gehen.»
Sein Vater zuckte die Schultern. «Was hätte ich anderes tun sollen? Ich bin ihr Vormund, ich trage die Verantwortung für ihr weiteres Leben. Und sie
Weitere Kostenlose Bücher