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Die Himmelsbraut

Die Himmelsbraut

Titel: Die Himmelsbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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machte die Tür hinter sich zu und wartete, bis die Lampe aufglomm. Die Priorin stand vor ihr und hielt das Licht zwischen sie beide. Ihre dunklen Augen musterten sie durchdringend.
    «Nein, nein – wie unfassbar. Da laufen sämtliche Novizinnen einfach mitten in der Nacht hinaus, und das auch noch halbnackt.»
    Inzwischen zitterte Antonia am ganzen Leib.
    «Bitte, hochwürdige Mutter Priorin – kann ich hinauf? Mir ist eiskalt.»
    «Kein Wunder.» Sie schob mit der Schuhspitze Antonias Rocksaum in die Höhe. «Nicht mal Schuhe und Strümpfe habt ihr euch angezogen. Da werdet ihr euch einen schönen Katarrh holen, alle miteinander. – Komm her zu mir.»
    Sie presste Antonia an sich und rieb ihr heftig den Rücken. Durch den dünnen Stoff ihrer Tunika spürte Antonia deutlich den drallen Leib der Priorin.
    «Besser?»
    «Ja», log Antonia, nur um wieder freizukommen.
    «Dann komm.»
    Antonia glaubte einen kleinen Seufzer zu hören, als Camilla von Grüningen sie wieder bei der Hand fasste und hinauf vor den Mädchenschlafsaal führte. Die Tür stand halb offen. Dort zögerte die Priorin eine halbe Ewigkeit, Antonias Hand noch immer fest umschlossen, und stieß wieder einen unterdrückten Seufzer aus.
    «Der Herr behüte dich und segne deinen Schlaf», flüsterte sie schließlich und strich ihr über das aufgelöste Haar. Ihr Ärger schien verflogen, dem Himmel sei Dank. Dann verschwand sie mit der Lampe in der Hand und ließ Antonia in der Dunkelheit zurück.
    «Magdalena? Bist du da?»
    Niemand antwortete. Sie tastete sich die Betten entlang bis zu dem ihrer Schwester. Dort fand sie Magdalena aufrecht auf der Bettkante sitzend.
    «Ach, Lena! Ich hatte solche Angst um dich. Wo warst du bloß?»
    «Im Nonnenchor. Zum Gebet.»
    Antonia schlang die Arme um Magdalenas zerbrechlichen Körper. Vor Erleichterung, dass alles vorbei war, begann sie gleich wieder zu weinen.
    «Lass das.» Magdalena löste sich aus ihrer Umarmung und stieß sie weg. «Ich will das nicht, Schwester Antonia.»
    Antonia erstarrte. Was war nur in ihre Schwester gefahren? Plötzlich wurde ihr bewusst, dass Magdalena ihr schon seit einiger Zeit aus dem Weg ging, dass sie sie nicht mehr beachtete, ihr nie ein Lächeln oder gar eine Berührung zukommen ließ.
    «Warum bist du so kalt zu mir?»
    Magdalena antwortete nicht.
    «Bin ich nicht mehr deine Schwester? Ist das alles nichts mehr wert? Erinner dich doch, wie wir zusammen unter dem Lindenbaum gespielt haben. Wie wir Märtyrer und Kreuzritter gespielt und uns dabei einmal im Mooswald verirrt haben.»
    «Das waren Kindereien, aus vergangenen Zeiten. Mir scheint, du hast nichts begriffen. Wir sind Schwestern im Geiste wie alle hier, nicht mehr und nicht weniger.» Ihre Stimme wurde wieder sanfter. «Und jetzt schweig. Um deinetwillen habe ich gegen das Schweigegelübde verstoßen.»
    Es schmerzte Antonia, ihre Schwester so reden zu hören. Sie wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und legte sich auf ihr Bett, ohne einschlafen zu können. Irgendwann kehrten die anderen Mädchen zurück, irgendwann fiel sie in einen unruhigen Halbschlaf, irgendwann rief das Glöckchen über dem Kreuzgang zum Morgenlob. Da dämmerte bereits der Tag herauf, und sie entdeckte, dass Vrenas Bett leer war.
    Übermüdet und auf wackligen Beinen kleidete Antonia sich an, folgte den anderen hinunter in den Kreuzgang, wo sie sich am Brunnen Hände und Gesicht wuschen, und stieg dann die Treppe zur Empore hinauf. Wie üblich sangen sie die Psalmen für das Morgenlob im Stehen, und Antonia hatte Mühe, sich aufrecht zu halten. Vrena fehlte noch immer, und ihre Sorge wuchs. Was, wenn einer dieser maskierten Erzlumpen sie niedergeschlagen hatte? Oder ihr gar noch Schlimmeres angetan hatte? Sie musste unbedingt die anderen Mädchen fragen, ob Vrena nicht bei ihnen am Fischweiher gewesen war. Von den Mienen der Äbtissin und ihrer Stellvertreterin war nichts abzulesen, sie versenkten sich in ihre Gebete wie stets.
    Erst beim Frühstück bot sich eine Gelegenheit. Sie und Dorothea hatten Tischdienst. Während Dorothea in der kleinen Küche den Brotkorb füllte, beugte sich Antonia an ihr Ohr: «War Vrena mit euch am Weiher?»
    «Ja», flüsterte Dorothea, nun ihrerseits dicht an Antonias Ohr. «Aber sie war plötzlich weg.»
    Ihr Schielen verstärkte sich, wie immer, wenn sie aufgeregt war.
     
    Die Magistra verlor im Unterricht kein Wort über das Geschehen der vergangenen Nacht. Nur ihren grimmigen Blicken war zu entnehmen, dass

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