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Die Himmelsbraut

Die Himmelsbraut

Titel: Die Himmelsbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Fritz
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sie wütend war, und so wagte Antonia erst gar nicht, sie nach Vrena zu fragen. Dann aber, gleich nach dem Mittagessen, wurden die Mädchen von ihr ins Äbtissinnenhaus geführt – alle bis auf Magdalena. Im Schreibzimmer erwarteten die Oberin und die Priorin sie mit ernsten Gesichtern.
    «Euer Herauslaufen aus der Klausur kann nicht ungesühnt bleiben», begann Mutter Lucia. «Mit mehr Gottvertrauen hätte eure unbesonnene Flucht, zudem in Nachtkleidung und mit unverhülltem Haupt, vermieden werden können. Nehmt euch ein Beispiel an eurer Schwester Maria Magdalena, die in stillem Gebet die Dinge auf sich zukommen ließ. So werdet ihr jetzt, statt euch zu erholen, den Nonnenchor aufsuchen und vor dem ausgesetzten Altarsakrament den Rosenkranz beten, bis es zur Non läutet. Dies wird euren Glauben festigen.»
    Sie zögerte einen Augenblick, und an ihrer Stelle fuhr die Priorin fort. «Ihr mögt euch gefragt haben, was mit eurer Schwester Vrena geschehen ist. Nun, sie wird den heutigen und auch den morgigen Tag allein verbringen, denn sie hat sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht. Ihr werdet sie gleich im Nonnenchor auffinden, sie wird vor dem Altar liegen, und ihr werdet über sie hinwegsteigen. Sie bleibt dort so lange liegen, bis ihr eure Anbetung des Allerheiligsten beendet habt, und niemand von euch darf das Wort an sie richten. Schwester Agnes, du wirst dafür Sorge tragen, dass alles so geschieht.»
    Danach waren sie entlassen. Jede von ihnen wusste nun, wo Vrena den heutigen Tag verbracht hatte: in jener fensterlosen Büßerzelle über dem Keller der Klausur, einem Raum, den sie insgeheim «das Loch» nannten und in dem sich nichts als ein Strohsack befand. Antonia war bestürzt. Was nur konnte ihre Freundin so Schlimmes begangen haben?
    Als sie wenig später die Empore betraten, lag Vrena tatsächlich mit ausgestreckten Armen bäuchlings vor dem Marienaltar, und sie mussten eine nach der anderen über sie hinwegtreten. Sie tat Antonia von Herzen leid. Während sie vor dem Sakramentsaltar ihre Rosenkranzgesätze sprachen, hustete Vrena immer wieder ganz erbärmlich.
    Die Sorge um ihre Freundin ließ sie die Kränkung, die Magdalena ihr zugefügt hatte, fürs Erste vergessen. Denn nicht nur die nächste, auch die übernächste Nacht blieb Vrena verschwunden. Als Antonia während ihrer Erholungsstunde der Äbtissin im Kreuzgang begegnete, bat sie sie mit einem Zeichen ins Parlatorium.
    «Ehrwürdigste Mutter», sie beugte das Knie, «was ist mit Schwester Vrena? Hat sie ihre Buße noch nicht beendet?»
    «Doch, mein Kind, das hat sie. Sie hat ihr Vergehen eingesehen und bereut es zutiefst. Es ist ihr verziehen. Aber sie ist über ihre Sünde krank geworden und liegt nun mit einem Katarrh in der Infirmerie.»
    «Darf ich sie besuchen?»
    Mutter Lucia überlegte.
    «Übermorgen um diese Zeit. Aber nur auf eine halbe Stunde. Ich werde der Siechenmeisterin Bescheid geben.»
    «Darf ich Euch noch etwas fragen?»
    Die Äbtissin legte ihr die Hand auf die Schulter. «Sprich.»
    «Welche schwere Verfehlung hat sie begangen?»
    «Das frag sie nur selbst.»
    Antonia beugte zum Dank noch einmal das Knie und verließ den Sprechraum.
     
    Mit Herzklopfen betrat Antonia den Krankensaal, der sich zwischen Kirche und Laientrakt befand. Die Siechenmeisterin erwartete sie bereits und führte sie zu einem Bett nächst dem kleinen Altar. Dort lag Vrena bis zur Nasenspitze zugedeckt und schien zu schlafen. Ihr hellrotes Haar breitete sich wie ein Heiligenschein auf dem Kissen aus.
    Die Schwester bedeutete Antonia, Abstand von der Kranken zu halten, und so setzte sie sich auf den Holzschemel in der Ecke. Zu ihrer Erleichterung ließ die Siechenmeisterin sie nun allein.
    «Vrena?»
    Vrena schlug die Augen auf. «Ist sie weg?»
    Ihre Stimme klang heiser.
    «Ja.»
    «Dann können wir reden. Endlich mal wieder.» Sie unterdrückte ein Husten.
    «Geht es dir besser?»
    «Zumindest besser als im Loch. Und ich bekomme hier besseres Essen als ihr.» Sie versuchte ein Grinsen, das misslang. «Schade, dass Fastenzeit ist. Ansonsten kriegt man als Kranke nämlich jeden Tag Fleisch und Butter und weißes Brot.»
    «Wo warst du in jener Nacht?»
    Vrena richtete sich auf. Ihre Augen glänzten, als hätte sie Fieber.
    «Im Garten beim Fischweiher und hab mir die Sterne angeguckt.»
    «Was?»
    «Es war so schön da draußen, nur ziemlich kalt.»
    «Du bist verrückt! Und ich hatte schon Angst, dass dir einer dieser Kerle einen Prügel

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