Die Himmelsbraut
Krebsin das Sagen, die an Novizenjahren Älteste, und die gebärdete sich nicht weniger streng als die Magistra selbst. Abgesehen von dem nächtlichen Redeverbot durften sie tagsüber nur in ihren kurzen Erholungszeiten miteinander sprechen, über Dinge des Glaubens oder die zu verrichtende Arbeit. Oder auch, bei gegebenem Anlass, ein Paternoster lang im Parlatorium, der kleinen Redehalle neben dem Kapitel, durch die man vom Kreuzgang ins Äbtissinenhaus gelangte. Auch zu lachen war verboten, das stille wie das laute Lachen.
Während der Mahlzeiten, die im Speiseraum des Novizenhauses eingenommen wurden, verständigte man sich mit Hilfe von Zeichen, die Antonia zunächst völlig unverständlich waren: Bat man um Käse, presste man die Hände aneinander, für Essig fasste man sich an die Kehle, für ein rundes Brot bildete man mit Daumen und Zeigefingern einen Kreis. Auch hier übrigens hatte eine von ihnen die Tischlesung zu halten, indessen nicht auf Deutsch und nicht aus den Heiligenviten, sondern aus der lateinischen Ordensregel.
Dabei hielt es die Magistra mit dem Schweigen ihrer Zöglinge sogar noch strenger als die Äbtissin, denn immer wieder einmal hörte Antonia die Nonnen im Kreuzgang leise tuscheln oder gar kichern. Ebenso schnell hatte sie herausgefunden, dass Agnes, diese Petze, jeden Verstoß umgehend an ihre Meisterin weitergab. So kam es, dass Antonia und Vrena bereits am dritten Tag vom gemeinsamen Mittagstisch verwiesen wurden und auf dem Boden essen mussten – nur weil sie sich während der Erholungsstunde nach dem Mittagsmahl etwas zugeflüstert hatten, anstatt still im Kreuzgang zu lesen oder sich auf den Betten auszustrecken, wie es ihnen vorgeschrieben war.
Dieser Zwang, unentwegt und überall zu schweigen, war das Schlimmste für Antonia. Es machte sie fast krank. Sie kam sich vor wie ein Vogel, dem die Flügel beschnitten waren. Sie schlief auch die folgenden Nächte schlecht, was nicht mehr an dem flackernden Lichtschein lag. Sie hatte keinen Appetit mehr, obwohl die Mittagsmahlzeiten ein klein wenig reichhaltiger und abwechslungsreicher waren als drüben bei den Laienschwestern, sie vermochte sich nicht mehr in den Unterricht zu vertiefen und gab falsche Antworten. Wie hielten die anderen diese Knebelung nur aus?
Es war kein Trost, dass es Vrena nicht besser erging als ihr selbst, ja vielleicht noch schlechter. Lag ihrer Freundin doch das Herz auf der Zunge. Nichts, was sie beschäftigte, konnte Vrena für sich behalten, sie liebte es, über alles und jedes ihre kecken Bemerkungen zu machen. «Man hat mir das Maul verbunden, und daran werd ich ersticken», sagte Vrena ihr einmal auf der Latrine, dem einzigen Ort, wo sie vor der verräterischen Agnes sicher waren, denn er bot nur Platz für zwei Bedürftige.
Einmal traf sie in dem kleinen Holzerker, der über einem Abflusskanal an das Novizenhaus angebaut war, zufällig auf ihre Schwester. Stumm hockten sie nebeneinander, mit geschürzter Kleidung über den Bretteröffnungen, und Antonia wartete darauf, dass sie gefragt würde, wie es ihr so ergehe im Noviziat. Da nichts dergleichen kam, ergriff sie selbst das Wort.
«Macht dir das Schweigegebot denn gar nichts aus?»
«Auch hier sollten wir schweigen.»
«Sag mir trotzdem, wie du das aushältst. Gib mir wenigstens einen Rat.»
«Würdest du ernsthaft nach geistiger Vervollkommnung streben, bräuchtest du keinen Rat von mir. Und jetzt schweig. Sonst muss ich es unserer Mutter Magistra melden.»
Das nächste, wenn auch kleinere Übel war, dass Antonia die körperliche Arbeit regelrecht vermisste. Davon war nur noch, jeweils im Wochenwechsel, der Küchen- und Putzdienst geblieben. Stattdessen versammelten sie sich zwischen Non und Vesper im Arbeitsraum, um zu spinnen und zu weben.
Jeder Tag verlief gleich, eintöniger noch als unter den Laienschwestern. Sieben Mal am Tag, in dreistündigem Abstand und erstmals zur dritten Stunde nach Mitternacht, rief das Glöckchen sie ins Chorgestühl, zu Psalmen, Gesängen und Schriftlesung.
Eine gewisse Abwechslung brachten allenfalls die Sonn- und Feiertage, wenn sie statt des Unterrichts die Sonntagsmesse besuchten. Im Anschluss daran verließen sie in feierlicher Prozession den inneren Klosterbereich und zogen durch die kleine Gartenpforte zum Pilgerhospiz, um dort, gemeinsam mit Mutter Lucia, den Armen und Pilgern die Füße zu waschen und Almosen auszuteilen. Dies war auch die einzige Gelegenheit, wo Antonia ihre einstige Zimmergenossin
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